Wer bin ich? Was ist die Welt? Was ist Sinn?

Kategorie: Philosophie (Seite 1 von 2)

Mein Gespräch bei Thanatos TV

Im August 2022 sprach ich mit Jennifer Nejo für Thanatos TV zu meiner philosophischen Arbeit. Die Hauptthemen des Gesprächs waren das Ich, der ontologische Status von Sinn (Ist Sinn real?) sowie die Realität von Nahtod- und anderen spirituellen Erfahrungen. Zu der Zusammenarbeit kam es, weil ich 2020 den Gründer und Betreiber von Thanatos TV, Werner Huemer, im Zuge der Recherche für meine Bachelorarbeit kontaktiert hatte. Er bat mich, ihm meine fertige Bachelorarbeit zuzusenden. Nachdem er sie gelesen hatte, fragte er mich, ob ich mir vorstellen könnte, ihm ein Interview dazu zu geben. Ich verneinte dies zunächst, weil ich mich noch nicht firm genug in meiner eigenen Position fühlte, aber wir verblieben so, dass ich mich melden würde, wenn es so weit sei. Er vermittelte mir 2021 auch den Kontakt zu Jennifer Nejo, mit der mich seitdem ein wunderbarer, außergewöhnlich inspirierender Austausch verbindet. 2022 schließlich, als die erste Fassung meines Essays und damit meine philosophische Position auf ausreichend stabilen Beinen für eine öffentliche Präsentation stand, war es so weit und wir verabredeten uns für ein Gespräch im Thanatos TV Studio. Das Ergebnis sehen Sie hier.

Es war sowohl mein erstes Interview zu meiner Arbeit als auch vor der Kamera und ich war reichlich aufgeregt, daher finden sich in dem, was ich sage, zwei Flüchtigkeitsfehler. Nobody’s perfect, es ist nur blöderweise so, dass sie den Sinn des Gemeinten ad absurdum führen. Deswegen möchte ich hier die entsprechenden Aussagen richtigstellen.

  1. Ich spreche bei Minute 11 darüber, dass ein verschränktes Teilchen sich in einer 14 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie befinden kann, „kurz nach Beginn des Urknalls, kurz nach Stattfinden des Urknalls lokalisiert“ und das ist schlicht in der Aufregung durcheinander geratener Nonsens. Woran ich da gedacht habe und was ich da reingemischt habe, war, dass das älteste Licht, was uns erreichen kann, vor 14 Milliarden Lichtjahren gestartet ist, eben kurz nach Beginn des Urknalls, und dass die Objekte, von denen dieses Licht ausgeht, die am weitesten entfernten Objekte sind, die wir beobachten können. Aber in meinem Argument soll ja das verschränkte Partnerteilchen genau im selben Moment in einer 14 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie sein, weil ich darauf hinaus will, dass trotzdem in genau demselben Moment, wo der Spin des einen Teilchens auf der Erde klar wird, der Spin des 14 Milliarden Lichtjahre entfernten Teilchens ebenso feststeht. Nur sagen tue ich das leider nicht, sondern ich sage es so, als wäre das andere Teilchen auch 14 Milliarden Jahre entfernt, also als läge es in der Vergangenheit. Dabei geht der springende Punkt der Sache verloren.
  2. In Minute 17 sage ich in Bezug auf die Aussagen „eins plus eins ist zwei“ und „eins plus eins ist drei“, die ich Frau Nejo und mir in den Mund lege: „Sie hätten nichts anderes sagen können als ich.“ Das Wörtchen „als“ ist falsch und irreführend, richtig wäre: „Sie hätten nichts anderes sagen können und ich auch nicht – denn wäre ein Determinismus der Fall, hätten weder Sie noch ich die denkerische oder erkenntnismäßige Freiheit gehabt, zu einem anderen Ergebnis zu kommen, weil jedes Glied in dieser Ereigniskette mit logischer Notwendigkeit so und nur so ablaufen könnte.“

So, nun, da dies klargestellt ist, wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Anschauen!

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Ein Zwiebelschalen-Universum

Dieser Beitrag schließt an an den Beitrag „Was uns Nahtoderlebnisse über die Beschaffenheit der Wirklichkeit verraten“ und ist – mit geringen Abwandlungen – ein Auszug aus meinem Buch „Phänometrie. Ist Bewusstsein mathematisch fassbar?“

Dieses Isolierter-Raum-Szenario könnte meines Erachtens tatsächlich nah an der Wirklichkeit sein: Phänomene wie Nahtoderfahrungen, Astralreisen und andere außerkörperliche Erfahrungen sind anthropologische Konstanten. Sie treten kultur- und zeitübergreifend auf und beinhalten allesamt die Erfahrung einer oftmals als weitaus realer wahrgenommenen Wirklichkeit jenseits der irdischen Realität. Es ist extrem unwahrscheinlich bis ausgeschlossen, dass diese Erfahrungen auf Gehirnzustände oder andere körpergebundene Faktoren zurückzuführen sind, da sie, wie oben beschrieben, auch auftreten, wenn der Körper einer Person hirntot ist. Sie müssten also von einer noch unbekannten und bis dato nicht messbaren Körperfunktion herrühren, wenn sie einen körperlichen Ursprung haben sollen. Ich halte diese Hypothese für unplausibel, auch weil es immer wieder vorkommt, dass Nahtoderfahrene nach ihrem Erlebnis von Dingen berichten, die sich während ihrer Bewusstlosigkeit zugetragen haben und sich der Inhalt dieser Berichte durch Dritte bestätigen lässt. Der Nahtodforschung ist inzwischen eine gehörige Menge von Berichten über genau dieses Phänomen bekannt. Wenn man nicht annehmen möchte, dass all jene Menschen, die von ähnlichen Phänomenen über alle Zeiten und Orte hinweg berichtet haben, lügen oder nachträglich halluzinieren1, muss man sich schon fragen, wo sich denn diese Erlebnisse abspielen.
Hier kommt die Idee eines mehrschichtigen Universums ins Spiel. Diese ist freilich nicht neu. So ist bereits in verschiedenen Schriften aus dem hinduistischen Religionskomplex von den lokas die Rede, verschiedenen Welten, in denen unsere Welt lediglich eine von vielen ist. Je nach Quelle werden drei, sieben, acht oder gar vierzehn Lokas unterschieden. Auch die Buddhisten kennen sechs verschiedene Daseinsbereiche. Die Kelten nahmen eine Anderswelt an, indigene Völker auf der ganzen Erde schicken ihre Heiler und Heilerinnen in eine wie auch immer vorgestellte Geisterwelt, um die dort angenommenen Ursachen von Krankheiten aufzuspüren und durch Interaktion mit dort ansässigen Wesen oder der Seele des Betroffenen die Gesundung herbeizuführen. Ohne nun auf die Konzepte und ihre Plausibilität im Einzelnen eingehen zu wollen, will ich an dieser Stelle kons-tatieren, dass die Annahme anderer Welten jenseits der unseren ebenso eine anthropologische Konstante ist, ebenso wie die Erfahrungsberichte von Menschen, die für sich in Anspruch nehmen, sich in welcher Form auch immer in einer anderen Welt aufgehalten zu haben oder in Abwesenheit jeglicher dafür relevanter Körperfunktionen sinnliche Wahrnehmungen von Geschehnissen in „unserer“ Welt gehabt zu haben, weil sie sich mit einem anderen, irgendwie feineren Körper außerhalb ihres menschlichen Körpers wiederfanden. Es wird mit wachsendem Kenntnisstand immer unplausibler, diese Phänomene als bloße Halluzinationen oder irrationalen Glauben weg-zuerklären oder sie gar gänzlich zu ignorieren. Die bisher gesammelte Beweislast drängt uns zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit ihnen. Freilich ist es angesichts ihrer ebenso offensicht-lich vorhandenen empirischen Evidenz ebenso unplausibel, unsere bisherigen naturwissenschaft-lichen Erkenntnisse über den Haufen zu werfen und wieder zu einem rein mythologischen Weltbild zurückzukehren. Daher scheint für mich der vernünftigste Umgang damit zu sein, nach einem Weg zu suchen, der die oben genannten Phänomene in Einklang mit unserem derzeitigen naturwissen-schaftlichen Erkenntnisstand bringt, ohne auf der einen Seite die objektive Realität der Phänomene zu leugnen oder auf der anderen Seite unser naturwissenschaftliches Weltbild mit seiner logischen Strenge aufzugeben. Mit anderen Worten: Wir brauchen kein Entweder-Oder-Weltbild, sondern ein Sowohl-Als-Auch-Weltbild.
Darüber, wie dieses Sowohl-Als-Auch aussehen könnte, habe ich mir auch schon einige Gedanken gemacht. So bin ich auf folgende Idee gekommen, die mir bisher am plausibelsten erscheint: Möglicherweise besteht das Universum aus mehreren Schichten, von denen jede Schicht eine andere Basiskonfiguration auf der Planck-Skala hat. Die Planck-Skala beschreibt die Ebene der kleinstmöglichen Einheiten, in denen physikalische Vorgänge stattfinden können. Sie sind die Grenze der Anwendbarkeit der physikalischen Gesetze und ergeben sich aus den Werten der Naturkonstanten wie der Gravitationskonstante, dem Planckschen Wirkungsquantum und der Lichtgeschwindigkeit. Zum Beispiel markiert die Planck-Zeit die kleinstmögliche Zeiteinheit, für die die uns bekannten physikalischen Gesetze gültig sind. Ihr Wert beträgt ca. 5.391247(60) x 10-44 Sekunden. Sie sehr, sehr kurz zu nennen, wäre also eine gnadenlose Untertreibung. Doch vielleicht haben die Naturkonstanten in einer etwaigen weiteren Schicht des Universums andere Werte. Wenn dort deswegen nun der Wert der Planck-Zeit nur ein wenig kleiner wäre und dementsprechend auch alle anderen Planck-Einheiten, könnten diese Schichten dann nicht wie „ineinander“ existieren, ohne dass sie sich in die Quere kämen, ohne dass die schneller schwingenden Schichten für die jeweils langsamer schwingenden Schichten physikalisch nachweisbar wären, weil wir durch die Werte unserer Naturkonstanten die dafür erforderliche Stärke der Auflösung (um in einer Metapher der digitalen Fotografie zu sprechen) nicht erreichen könnten? Könnten nicht Gefühle und Gedanken in einer solchen Schicht oder mehrerer dieser Schichten ihren Ursprung haben und dort als Entität mit objektiv wahrnehmbarer Außenseite beheimatet sein? Möglicherweise haben sie eine charakteristische Geometrie bzw. Topologie, ein charakteristisches Schwingungsmuster, eine charakteristische Progression in der Zeit, einen charakteristischen Wirkzusammenhang mit anderen Gedanken bzw. Gefühlen. So wie physikalische Entitäten dieser Wirklichkeitsebene miteinander interagieren können, so können es möglicherweise auch die Gefühl- und Gedankenentitäten. Diese wahrnehmbare Außenseite müsste allerdings auch unserem Leib zugehörig sein, wenn wir doch diejenigen sind, die sie von innen wahrnehmen. Es würde bedeuten, dass wir auch in jener Schicht respektive jenen Schichten leiblich anwesend sind. Der Leib der anderen Ebenen müsste dabei nicht notwendig dieselbe Form aufweisen wie unser diesseitiger Leib. Doch wenn wir auch in diesen Schichten leiblich anwesend sind, würde sich natürlich die Frage stellen, warum wir zumindest ihren innerlichen Aspekt auch hier auf dieser Ebene wahrnehmen beziehungsweise warum wir nur ihren innerlichen Aspekt wahrnehmen, nicht aber von außen auf sie schauen können (abgesehen von jenem Teil, der auch in dieser Schicht in Form von Gehirnströmen und anderen physiologischen Messwerten zu sehen ist), so wie wir ja auch von außen auf unseren normalen Leib schauen können. Eine naheliegende Antwort wäre anzunehmen, dass der Leib der anderen Schicht(en) keine Sinnes-organe aufweist und dementsprechend dort keine Augen vorhanden sind, die einen solchen Leib erblicken könnten. Es könnte sich aber auch anders verhalten und auch hier könnte das Ich wieder die Antwort sein. Als Singularität befindet es sich jenseits der Raumzeit und jenseits der Materie und ist daher auch nicht an eine einzige Ebene gebunden. Es müsste daher auch, sollten diese weiteren Schichten existieren und sollten dort ebenso Aspekte unserer Leiblichkeit existieren, auf die anderen Schichten zugreifen können. Es ist möglicherweise lediglich eine Frage der Konzentration und der Gewohnheit, mit welchen Aspekten der eigenen Leiblichkeit man sich identifiziert oder welche Schichten man wahrnimmt – und demnach auch, in welcher Welt man sich bewegt. Mystische Erfahrungen wie Nahtoderfahrungen oder Visionen nach Genuss von psychoaktiven Substanzen könnten dadurch zustandekommen, dass sie irgendwie eine Verschie-bung der Konzentration bewirken bzw. einen aus den eingefahrenen Gewohnheiten herauslösen und wir durch die Singularität unseres Ich instantan in eine andere Wirklichkeitsebene „reisen“ – oder durch eine Erweiterung unserer Konzentrationsfähigkeit gar mehrere Ebenen gleichzeitig wahrnehmen. Auch das obige Zitat aus der Studie über Nahtoderlebnisse beschreibt eine fortdauernde sinnliche Wahrnehmung der Personen nach dem Hirntod. Auch in Abwesenheit der Funktion unserer physischen Sinnesorgane sind uns ganz offenbar sinnliche Wahrnehmungen möglich. Möglicherweise könnten sich auch Träume auf einer dieser Ebenen abspielen – wobei es ja zuallermeist so zu sein scheint, dass die Wesen, denen wir im Traum begegnen, nicht real im Sinne eines echten Wesens mit je eigenem Ich sind, sondern es sind von uns selbst imaginierte Traumfiguren. Ein Traum scheint meist eher so etwas wie eine exklusive „Privatrealität“ zu sein. Dennoch würden wir in dieser Richtung vielleicht Erklärungen dafür finden, in welchem Raum Träume sich abspielen – diese Frage warf ich ja im Beitrag „Res extensa: Wissen wir wirklich, was Ausdehnung ist?“ bereits auf.
Ein solches Zwiebelschalen-Modell des Universums wäre auch ein plausibler Erklärungsansatz für andere grenzüberschreitende Phänomene wie mediale Kontakte mit Verstorbenen, die in der oben bereits erwähnten EREAMS-Studie prospektiv empirisch untersucht wurden, was äußerst starke Belege für die Authentizität der dort untersuchten Kontakte zutage förderte. Der Tod wäre, sollten sich die obigen Überlegungen als zutreffend erweisen, mithin nichts anderes als die Verschiebung der Konzentration auf die „höheren“ Aspekte der eigenen Leiblichkeit, während die Konzentration auf diejenige Materie, deren Einwohner man auf der Erde für die letzten Jahre war, dauerhaft aufgegeben wird, wodurch sie wieder frei wird für eine Neuorganisation durch andere Entitäten. Der Umstand, dass der diesseitige Körper einiger buddhistischer Mönche, die Meisterschaft in der Meditation erreichten, noch viele Jahre nach ihrem diesseitigen Ableben nicht verwest, ließe sich dann dadurch erklären, dass es ihnen durch ihre errungene Meisterschaft in der Meditation gelingt, die Konzentration und damit ihren Einfluss auf den diesseitigen Leib noch Jahre nach ihrem Fortgang aufrecht zu erhalten. Interessant hierzu ist, sich bewusst zu machen, wie Meditation in den traditionellen östlichen Schriften wie z.B. den altindischen Upanishaden oder dem buddhistischen Visuddhimagga gelehrt wird: Dort gilt als Meditation im Wesentlichen das Schulen und Schärfen der Konzentration, genauer gesagt das einpünktige (Stichwort Singularität!) Fokussieren der Aufmerksamkeit entweder auf ein Meditationsobjekt oder auf eine Körperstelle, sodass man schlussendlich in einen Zustand vollkommener Verstandesstille gelangt.
Ein Beispiel für solch einen Meister der Meditation, dessen Körper nicht verwest und offenbar auch Lebensäußerungen zeigt, obwohl er nicht im herkömmlichen Sinne lebendig ist, ist der buddhistische Mönch Dashi Dorjo Itigilow. Am 04.07.2007 wurde dieser Fall vom Online-Magazin „Spektrum.de“ unter dem Titel „Toter Mönch verwest nicht“ thematisiert. Es gibt noch einige weitere Beispiele nicht verwesender buddhistischer Mönche, aber auch von insbesondere Heiligen anderer Kulturkreise, deren Körper nicht verwesen, wie z.B. die katholischen Heiligen Bernadette Soubirous oder Teresa von Ávila. Während sich manche Fälle von Unverweslichkeit durch den heutigen Stand der Wissenschaft vollkommen hinreichend erklären lassen, ist es bei den oben namentlich genannten und auch einigen anderen Fällen nicht möglich, dies mithilfe unseres heutigen Wissensstandes zu erklären.

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1 Auch der Begriff „Halluzination“ birgt Diskussionspotential, denn man kann, wie es zum Beispiel der Neurologe Prof. Dr. Wilfried Kuhn tut, infrage stellen, inwieweit die Verknüpfung „Halluzination = irreal“ tatsächlich gültig ist.

Was verraten uns Nahtoderlebnisse über die Beschaffenheit der Wirklichkeit?

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus meinem Buch „Phänometrie. Ist Bewusstsein mathematisch fassbar?“ schließt an an eine Passage im Buch, in der ich postuliere, dass Materie immer sowohl einen physischen als auch einen psychischen Aspekt hat, dass diese zwei Seiten derselben Medaille (also co-extensiv) sind und dass es demnach so etwas wie eine erlebnis- und bewusstseinsunabhängige Materie nicht gibt. Ich vertrete damit eine panpsychistische Position. Während ich im Buch ausführlich darlege, warum ich dies annehme, belasse ich es hier bei dem Postulat, im Bewusstsein, dass das natürlich eine steile These ist.

Wir könnten nun annehmen, dass wir mit den korrelierenden Gehirn- und Körperzuständen schon die Außenseite von Gefühlen und Gedanken vollständig erkannt haben. Zunächst scheint es keinen Grund zu geben, eine darüber hinaus gehende, bis dato unerkannte objektive Seite von Gefühlen und Gedanken anzunehmen. Die empirische Nahtodforschung liefert jedoch starke Indizien dafür, dass Gehirn- und andere Körperzustände allein nicht den vollständigen objektiven Aspekt der Gedanken und Gefühle bilden können. Deren Studienergebnisse legen ein kontinuierliches phänomenales Erleben auch außerhalb des Körpers und unabhängig vom Gehirn nahe, wie sich am Beispiel einiger Fälle klaren Bewusstseins trotz des medizinisch festgestellten Hirntods nachweisen ließ:

„From these studies we know that in our prospective study as well as in the other studies of patients who have been clinically dead (VF on the ECG), total lack of electric activity of the cortex of the brain (flat EEG) must have been the only possibility, but also the abolition of brainstem activity […] is a clinical finding in those patients. However, patients with an NDE can report a clear consciousness, in which cognitive functioning, emotion, sense of identity, and memory from early childhood was possible, as well as perception from a position out and above their “dead” body.“

Van Lommel, Pim: About the Continuity of Our Consciousness, In: Brain Death and Disorders of Consciousness. Machado, C. and Shewmon, D.A., Eds. New York, Boston, Dordrecht, London, Moscow: Kluwer Academic/ Plenum Publishers, Advances in Experimental Medicine and Biology Adv Exp Med Biol. 2004; 550: 115-132; S. 7

Eine kurze Anmerkung zum Status der empirischen Nahtodforschung in der Wissenschaft: Die empirische Nahtodforschung hat im wissenschaftlichen Diskurs derzeit ein Außenseiterdasein inne. Ihr Außenseiterdasein ist meines Erachtens eher auf ideologische als auf fachliche Gründe zurück-zuführen. Innerhalb der reduktionstisch-physikalistisch geprägten Wissenschaftsgemeinde treffen alternative Hypothesen zur Frage, was Bewusstsein ist, auf Voreingenommenheit. Zum einen liegt dies sicher daran, dass die Nahtodforschung und ihr Postulat eines überdauernden, immateriellen Bewusstseins dem derzeit dominanten physikalistischen Paradigma widersprechen. Zum anderen vermute ich, dass ihre Forschungsergebnisse – unberechtigterweise – Befürchtungen aufrufen, dass man durch ihre Anerkennung in einen vormodernen religiösen Glauben zurückfallen und damit die Säulen der (post)modernen Gesellschaftsordnung untergraben könnte. So ist eine Begegnung mit Lichtwesen oder auch mit Gott respektive einer göttlichen Kraft ein immer wiederkehrendes Element in Nahtoderfahrungen. Mit Gott aber wird in den durch die abrahamitischen Religionen geprägten Ländern auch immer die Existenz der Hölle und der ewigen Verdammnis von Sündern verbunden, die von Gott höchstpersönlich in die Hölle verbannt werden – potentiell für verschie-denste auch kleine Vergehen, die zu vermeiden für gewöhnliche Menschen nahezu unmöglich ist. Ebenso wird mit Gott durch die Lehren der institutionalisierten Religionen eine Leib- und Sexualfeindlichkeit verbunden sowie die strenge Unterordnung der Frau unter ihren Ehemann, dem sie als von ihm abkünftiges Wesen zu Gehorsam und Dienst verpflichtet ist. All dies und andere Grausamkeiten wie die gnadenlose Bestrafung von sogenannten Heiden oder die Behandlung von heidnischen Frauen als recht- und seelenlose Objekte sexueller Lustbefriedigung (rechtgläubige Frauen sind aufgrund ihres sündigen Geschlechts rechtlich freilich auch nicht so viel besser gestellt, werden aber wenigstens als beseelte Menschen angesehen und können auf den Lohn Gottes nach erfolgter Hingabe in ihre gottgegebene Stellung unterhalb des Mannes hoffen), die Gott laut Bibel, Thora oder Koran gutheißt und zu denen er die Menschen anstiftet, sind Aspekte, von denen man sich in einem rationalen Weltbild nur allzu gerne verabschiedet hat. Doch bestätigen Nahtoderlebnisse diese furchtbaren Dogmen und angeblichen Charakterzüge Gottes nicht!1 Im Gegenteil sind die meisten Nahtoderfahrenen nach ihrem Erlebnis zwar spiritueller und gläubiger als noch vor ihrem Erlebnis, wenden sich aber oft von institutionalisierten Religionen ab.Die Nahtodforschung steht nicht im Widerspruch zu bisherigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern erweitert sie lediglich. In der hier zitierten Studie, die selbstverständlich offen einzusehen ist, finde ich weder methodische Fehler noch unzulässige Interpretationen der gewonnenen Daten, die es plausibel machen würden, ihre Legitimität grundsätzlich in Zweifel zu ziehen. Ebenso kann ich keine religiösen Postulate oder gar Forderungen feststellen, ein bestimmtes Glaubenssystem unhinterfragt zu übernehmen. Es werden lediglich die empirisch gewonnenen Daten auf rational nachvollziehbare Weise interpretiert. Die nach Meinung des Autoren und auch in meinen Augen wahrscheinlichste Hypothese, die sich daraus ergibt, ist, dass das Bewusstsein einer Person nicht an den physischen Körper gebunden sein kann. Angenommen also, dass hier valide Ergebnisse ermittelt wurden, können Gehirnzustände unmöglich den vollständigen objektiven Aspekt von Gefühlen, Gedanken und Wahrnehmungen darstellen, wenn diese der Person auch während Phasen des Hirntodes erhalten bleiben. Um tiefer in eine Evaluierung der Beweiskraft von Nahtoderfahrungen und anderen außeralltäglichen Bewusstseinsphänomenen in Bezug auf ein Überleben des Bewusstseins nach dem Tode einzutauchen, empfehle ich den Essay „Climbing Mount Evidence“ von Dr. Michael Nahm und die EREAMS-Studie von Prof. Dr. Oliver Lazar, deren Ergebnisse er in seinem Buch „Jenseits von Materie“ zusammengefasst hat. Auch der schwedische Philosoph Jens Amberts argumentiert dafür, dass ein Leben nach dem Tode des physischen Körpers als „empirisch gesichert“ betrachtet werden kann. Er vergleicht dazu die Erlebnisse von Nahtoderfahrenen mit dem Szenario eines Raumes, welcher vollständig von der umgebenden Welt isoliert ist, sodass keinerlei Signal herauszudringen vermag und auch keinerlei Instrumente die Wände des Raumes überwinden könnten, um Informationen über die Gegebenheiten innerhalb des Raumes zu gewinnen. Von Zeit zu Zeit dürften aber ein paar Ausgewählte in diesen Raum gehen, ihn erforschen und anschließend über ihre Forschungsergebnisse berichten. Wenn nun die Berichte einer ausreichenden Anzahl von Menschen über die Gegebenheiten in diesem Raum miteinander übereinstimmen, wäre es vernünftig, wenn wir die dortigen Gegebenhei-ten als empirisch gesichert betrachten würden, selbst wenn diese sonderbar in dem Sinne wären, dass sie beispielsweise unserem aktuellen Verständnis der Naturgesetze widersprächen. In letzterem Falle bräuchte man eine noch höhere Anzahl von übereinstimmenden Berichten und idealerweise auch eine ausreichende Anzahl von entsprechenden Berichten sowohl von Menschen, die mit einer skeptischen Haltung in die Erforschung des Raumes gegangen seien als auch von Menschen, deren Bericht aufgrund ihrer besonderen fachlichen Qualifikation ein hohes Ausmaß an Verlässlichkeit habe. Sei dies gegeben, könne man auch dann die dortigen Gegebenheiten als empirisch gesichert annehmen. Genau dies, so Amberts, sei im Falle von Nahtoderfahrungen der Fall. Es gebe eine ausreichende Anzahl an übereinstimmenden verlässlichen Berichten und dass diese in der Wissen-schaft nicht im breiten Maßstab anerkannt würden, sei entweder das Resultat von Ignoranz, Irrationalität oder beidem.2

Hier geht es weiter…

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1 Es gibt aber definitiv auch sogenannte Höllenerfahrungen, nur konnte ich in ihnen keine Hinweise darauf ausmachen, dass die Menschen durch Gott in die Hölle geworfen wurden bzw. dass eine externe Kraft ihnen dies als Strafe auferlegt. Viel eher scheint sich die Hypothese zu erhärten, dass sie durch ihren eigenen Bewusstseinszustand, ihre innere Haltung zur Welt und zu sich selbst oder auch infolge ihrer eigenen Taten in diese Bereiche gelangen. (In einem Artikel des Autors Benjamin Bruel mit dem Titel „Am Abgrund zur Hölle: die dunkle Seite von Nahtoderfahrungen“, welcher am 02.11.2016 online in der Zeitschrift „Vice“ erschien, sind entsprechende Erfahrungen und ihr Kontext zusammengefasst.) Bei Letzterem scheint zwar schon ein Tun-Ergehens-Zusammenhang vorzuliegen. Jedoch obliegt das Tun der Verantwortung des Handelnden und das darauf folgende Ergehen wird nicht durch Gott oder eine andere externe richtende Kraft initiiert. Es wird immer wieder die Erfahrung gemacht, dass man von Engeln, Heiligen oder religiösen Führerfiguren wie Jesus Christus aus den Höllenbereichen gerettet wird. Gott, Lichtwesen und Engel werden nicht als strafend oder wertend erlebt, sondern als bedingungslos liebend. Freilich berührt auch dies einige sensible Punkte der Theodizee-Problematik und grundsätzlich wird das Thema der Höllenerfahrungen viel zu wenig diskutiert. Es scheint mit großen Tabus belegt zu sein. Dennoch will ich es an dieser Stelle aufgrund der zu großen thematischen Abweichung nicht diskutieren.

2 Vgl. Amberts, J. (2022). Why an afterlife obviously exists: A thought experiment and realer than real near-death experiences, New Alresford, Hampshire: Iff Books

Leitfaden für ein sinnvolles Leseerlebnis

Hier finden Sie eine Liste, in der die Beiträge in jener Reihenfolge gelistet sind, in der sie logisch aufeinander aufbauen. Sie entspricht nicht der chronologischen Reihenfolge, also der Reihenfolge, in der ich sie auf diesem Blog angelegt habe. (Mir wurde erst zu spät bewusst, dass ich die chronologische Reihenfolge nicht ändern kann.) Daher mag es zunächst ein wenig unübersichtlich sein. Aber Links innerhalb der Beiträge führen ohnehin sowohl zum vorherigen als auch zum letzten Beitrag in Bezug auf deren logischen Aufbau.

(Update vom 27.06.2024: Ich habe einige Beiträge auf privat gesetzt, weil ich die Positionen in der dort geäußerten Form nicht mehr vertrete und erst einmal überarbeiten will. Ich habe von meiner Position her zwar keine 180-Grad-Wende gemacht, aber ich will zunächst vor allem so manche Unterkomplexität und daraus resultierende voreilige Schlussfolgerung korrigieren.)

  1. Kann Mathematik die Wirklichkeit beschreiben?
  2. Der Erfolg der Mathematik als Hinweis auf die Wesensverwandtschaft von Geist und Materie
  3. Sind Wahrnehmung, Gedanken und Gefühle berechenbar?
  4. Bin ich identisch mit meinem Erlebnisstrom und daher berechenbar?
  5. Absolute Naturen in der Mathematik und Physik: Echte Singularitäten
  6. Res extensa: Wissen wir wirklich, was Ausdehnung ist?
  7. Res cogitans: Ist phänomenales Erleben ausgedehnt?
  8. Das Ich als echte Singularität
  9. 0 = 1 : Das Zusammenbrechen der zweiwertigen Logik am Grunde der Wirklichkeit
  10. Was ist Materie?
  11. Was ist Raumzeit?
  12. Superposition und Nonlokalität als Beweis für die Fundamentalität der Logik
  13. Der infinite Progress des (Super-)Determinismus

Die beiden folgenden Beiträge bilden einen (mehr oder weniger) neuen Sinnzusammenhang:

  1. Was verraten uns Nahtoderlebnisse über die Beschaffenheit der Wirklichkeit?
  2. Ein Zwiebelschalen-Universum

Das Ich als echte Singularität

Dieser Text schließt an den Beitrag „Res cogitans: Ist phänomenales Erleben ausgedehnt?“ an und ist – mit dem Format entsprechenden Abwandlungen – ein Auszug aus meinem Buch „Phänometrie. Ist Bewusstsein mathematisch greifbar?

Es gibt starke Gründe dafür, das personal einheitliche Ich-Empfinden im mathematischen Sinne als echte Singularität aufzufassen. Sowohl das Ich als auch echte Singularitäten weisen auffallende Parallelen auf: Beide sind absolut und irreduzibel und Rechenoperationen wie Division, Multiplikation, Addition oder Subtraktion sind nicht sinnvoll auf sie anwendbar. Bei den mathematischen Singularitäten sind sie nicht definiert, das Ich zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht teilbar (Division), reduzierbar (Subtraktion) oder mit anderen Ichs summierbar (Multiplikation und Addition) ist. Anderenfalls wäre die rede von einem Ich nicht mehr sinnvoll, da es sich dadurch auszeichnet, dass es fundamental mit sich und nur mit sich identisch ist.

Die Urknall-Singularität ist offensichtlich in der Lage, das Universum zu instantiieren. Unser Ich ist, wie gezeigt wurde, der fundamentale, unhinterschreitbare Bezugspunkt all unseren Welterlebens. Wir kommen nicht hinter unser Ich. Ist es damit nicht der geeignete Kandidat für eine Instantiierungsebene? Muss man möglicherweise einfach nur die Urknall-Theorie dahingehend erweitern, als dass die Singularität, die das Universum instantiiert, „ich“ zu sich „sagt“? Dann bräuchte es kein neues Konzept, nur eine Neuinterpretation des bereits Erkannten. Singularität und Ich sind einander so ähnlich, dass ich dazu tendiere.

Der Klarheit halber möchte ich auch Folgendes erwähnen, was etwas trivial klingt: Wir Menschen sind ganz offensichtlich keine schwarzen Löcher. Die echte Singularität des Ich scheint also nicht in der Form aufzutreten, dass eine Masseansammlung sich auf derart kleinem Raum zusammenballt, dass die Krümmung der Raumzeit an dieser Stelle einen unendlichen Wert annimmt. Im Gegenteil ist sie ja nicht als Resultat einer spezifischen Form der Masseansammlung zu betrachten (das war ja ein Kernpunkt meiner ganzen bisherigen Argumentation), sondern ist schon immer jenseits dessen. Allerdings gibt es auch begründete Zweifel an der Auffassung, dass eine lokale Masseansammlung die Krümmung der Raumzeit verursacht in dem Sinne, dass sie ihr vorausgeht. Fruchtbarer scheint es zu sein, Raumzeit-Krümmung und Masseansammlung simultan zu denken. Auch gibt es Grund zur Annahme, dass das Ich in irgendeiner Weise mit der Gravitation assoziiert ist. Beides führe ich in Kapitel 4.5. meines Buches aus. Mögliche Ansätze dafür, wie genau das Ich im Rahmen einer mathematischen Theorie (freilich nie wirklich einholbar, aber indirekt in Form einer echten Singularität) schematisch dargestellt werden kann, stelle ich in Kapitel 4.8. dar.

Wie können wir uns eine Welt vorstellen, deren Ursprung das Ich ist? Bin dann alles ich? Oder gibt es unendlich viele verschiedene Ichs, die alle gemeinsam die Welt instantiieren? Wir werden sehen, dass uns die Klarheit der Antwort auf diese Fragen ebenso wie Sand zwischen den Händen zerrinnt wie schon bei der Suche nach einer Definition von Ausdehnung und Nicht-Ausdehnung, von Absolutem und Relativem. Dies liegt am Wesen der Singularität, angesichts derer die zweiwertige Logik, also das Entweder-Oder, einfach zusammenbricht. Dennoch können wir, wenn wir gerade dieses Zerrinnen und In-eins-Fallen an den Grenzen unserer Wirklichkeit als gegeben akzeptieren, innerhalb dieser Grenzbedingungen neue Erkenntnisse von erstaunlicher Klarheit gewinnen – und feststellen, dass das Zusammenbrechen der zweiwertigen Logik gewissermaßen Alltag für uns alle ist.

Res cogitans: Ist phänomenales Erleben ausgedehnt?

Dieser Text schließt an den Beitrag „Res extensa: Wissen wir wirklich, was Ausdehnung ist?“ an und ist – mit dem Format entsprechenden Abwandlungen – ein Auszug aus meinem Buch „Phänometrie. Ist Bewusstsein mathematisch greifbar?

Ich möchte noch einmal darauf zurückkommen, warum ich glaube, dass das phänomenale Erleben auch als irgendwie dem Modus „ausgedehnt“ angehörig gesehen werden kann: Auch wenn das phänomenale Erleben selbst nicht sinnvoll in physikalischen Größen wie Größe, Masse, Ladung etc. erfasst werden kann, so bezieht es sich doch unmittelbar oder mittelbar auf etwas, das diese Dimensionen besitzt und/oder auf die Inhalte phänomenalen Erlebens eines anderen Subjekts. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen: Mein Erleben des Tisches vor mir ist nicht 80 Zentimeter breit, 40 Zentimeter tief und 60 Zentimeter hoch, wiegt nicht 5 Kilogramm und besteht nicht aus Holz, aber ich erlebe genau diese Attribute des Tisches ebenso wie seine Farbe, Haptik und andere sinnlich wahrnehmbare Eigenschaften. Allein deswegen bekommt mein Erleben schon relationalen Charakter, und zwar einen, der unmittelbar mit den physischen Eigenschaften des erlebten Objekts korreliert.* Mein Erlebnisraum und der physische Raum sind direkt aufeinander bezogen. Zumindest gehen wir davon aus, dass dem so ist, da wir sonst nicht sinnvoll sowohl empirische als auch theoretische Wissenschaft betreiben könnten. Diese basiert auf der Grundannahme, dass wir a) unseren Sinnesdaten insofern vertrauen können, als dass sie uns einen Eindruck zu vermitteln vermögen, der in irgendeiner Weise mit der Wirklichkeit korreliert und b) sich unsere Theorien sinnvoll auf diese anwenden lassen. Freilich will ich hier keinem naiven erkenntnistheoretischen Realismus das Wort reden, der annimmt, dass unsere Sinnesdaten uns immer wahre Eindrücke über die Wirklichkeit vermitteln und dass alles, was wir wahrnehmen, ein wahres Abbild der Wirklich-keit ist, aber derlei erkenntnistheoretische Fragen möchte ich in Kapitel 2 etwas näher beleuchten. Vorerst möchte ich es dabei belassen, worauf sich wohl sowohl erkenntnistheoretische Konstruk-tivistinnen als auch Realistinnen einigen können, weil diese Annahme Voraussetzung dafür ist, Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit als sinnvoll und gültig anerkennen zu können: Es gibt irgendeine Art von Korrelation zwischen Sinnesdaten und Wirklichkeit.
Eine Relationalität tritt auch beim Erleben der eigenen Gedanken und Gefühle auf, sowie beim Erleben der mitgeteilten oder mitgefühlten Gedanken und Gefühle einer anderen Person. Zum einen korrelieren die eigenen Gedanken und Gefühle immer auch mit körperlichen, also physikalischen Zuständen, z.B. des Gehirns, des Nervensystems, des Kreislaufs etc. (auch dieser These werden Konstruktivistinnen wie Realistinnen zustimmen), zum anderen beziehen sich Gedanken und Gefühle immer auf etwas oder auf jemanden, der diese Gedanken und Gefühle auslöst. Selbst wenn es nur Gedanken oder andere Gefühle, also reine Qualia waren, die das jetzige Gefühl auslösen, so beziehen sich diese Gefühle aufeinander, haben eine Relation zueinander; ergo können auch Qualia relativ sein. Ich glaube, dass es weiterführend sein könnte, genau aus diesen Gründen phänomenales Erleben als ausgedehnt zu betrachten – als eine Art „Erlebnisraum“, treffender noch eine „Erlebnis-raumzeit“: Phänomenales Erleben spielt sich immer in der Zeit ab, hat wechselnde Inhalte, ist immer ein Prozess, stellt immer eine Entwicklung dar. Das hat phänomenales Erleben mit dem physischen Aspekt der Wirklichkeit gemeinsam, der einen ebenso essentiellen temporalen und prozessualen Charakter aufweist.
Philip Goff wies im oben genannten Zitat darauf hin, dass es nötig sei, eine Instantiierungsebene für die physische Welt zu finden, deren kausale Struktur durch die Mathematik beschrieben werde. Bis hierhin dürfte deutlich geworden sein, dass wir mit dem phänomenalen Erleben an sich meines Erachtens nicht die gesuchte absolute Instanz gefunden haben, die eine geeignete Instantiierungs-ebene für die physische Welt ist. Viel mehr hat sich durch die obigen Überlegungen gezeigt, dass zusätzlich Bedarf für eine Instantiierungsebene des phänomenalen Erlebens besteht, und zwar, weil dies ebenso relational und prozessual ist wie die physischen Entitäten. In Anbetracht der weiter oben aufgezeigten offensichtlichen Wesensverwandtschaft von Physis und Psyche liegt es nahe, für sowohl den mentalen als auch den physischen Aspekt der Wirklichkeit eine gemeinsame Instantiierungsebene zu suchen.

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*Hier habe ich zur Verdeutlichung des Prinzips von sensorischen Täuschungen oder physischen Phänomenen jenseits der unmittelbaren Anschaulichkeit abgesehen, die zur korrekten Interpretation einen höheren mentalen Dekodierungsaufwand der durch die Sinne übermittelten Daten und/oder technische Hilfsmittel erfordern, um die Phänomene unseren Sinnen zugänglich zu machen. Auch Überzeugungen und emotionale Prägungen haben einen Einfluss auf die Weltwahrnehmung, und die sind bei jedem Menschen einzigartig. Dennoch kann man wohl mit Fug und Recht sagen, dass die Wahrnehmung der physischen Merkmale eines Tisches, einer Tasse, einer Straße oder einer Landschaft nicht derart dadurch beeinflusst wird, dass der eine Mensch einen Tisch beispielsweise als rund und der andere Mensch denselben Tisch als eckig wahrnimmt. Je nach individueller Prägung und Gemütslage wird man einen anderen Wahrnehmungs-fokus haben und dementsprechend werden die einen Menschen etwas wahrnehmen, was die anderen Menschen ausblenden und umgekehrt. Aber ich glaube, wir können davon ausgehen, dass bei entsprechender Lenkung der Aufmerksamkeit auf die ausgeblendeten Objekte alle Menschen unabhängig von ihrer Prägung und Gemütslage die physischen Merkmale eines Objekts identisch wahrnehmen, denn wir alle können uns intersubjektiv über beispielsweise Form, Farbe und Gewicht eines Objekts einig werden, selbst wenn wir zunächst unterschiedliche Terminologien benutzen würden. Es mag auch da Extremfälle, also Menschen mit extrem abweichender Wahrnehmung geben. Dennoch denke ich, dass wir uns zumindest im Mittel mit sehr großer Sicherheit auf die Zuverlässigkeit oder viel mehr die prinzipielle intersubjektive Übereinstimmung unserer Sinneswahrnehmungen verlassen können, wenn es um die Wahrnehmung von physischen Objekten geht.

Res extensa: Wissen wir wirklich, was Ausdehnung ist?

Dieser Text schließt an den Beitrag „Absolute Naturen in der Mathematik und Physik: Echte Singularitäten“ an und ist – mit dem Format entsprechenden Abwandlungen – ein Auszug aus meinem Buch „Phänometrie. Ist Bewusstsein mathematisch greifbar?

Es gibt Anlass, das normalerweise implizit und unhinterfragt vorausgesetzte Postulat des kategorischen Unterschieds zwischen Ausgedehntsein und Nichtausgedehntsein zu hinterfragen. Die Urknall-Theorie basiert auf dem Postulat, dass aus etwas Nichtausgedehntem etwas Ausgedehntes entstehen kann. So ist das Universum laut kosmologischem Standardmodell aus einer Singularität entstanden. Wie soll man sich das vorstellen? Wie kann etwas Nichtausgedehntes etwas Ausgedehntes hervorbringen? Wenn man sich vergegenwärtigt, dass genau dies die gegenwärtig bevorzugte, weil empirisch außerordentlich gut belegte Theorie ist, kommt man nicht umher, in Betracht zu ziehen, dass aus „nicht ausgedehnt“ tatsächlich „ausgedehnt“ werden kann – auch für den umgekehrten Fall: aus vormals in Zeit und Raum ausgedehnter Materie wird, wenn Einstein Recht behält, unter entsprechenden Voraussetzungen eine nichtausgedehnte Singularität jenseits von Zeit und Raum im Zentrum eines Schwarzen Lochs. Das Gleiche trifft auf die Quantenfeldtheorien zu: Die Elementarteilchen werden dort als nichtausgedehnt, also punktförmig betrachtet. Auch experimentell konnte ihnen bisher kein von Null verschiedener Durchmesser nachgewiesen werden. Dennoch sind es genau diese „nichtausgedehnten“ Entitäten, aus denen unsere „ausgedehnte“ Wirklichkeit besteht. Für viele Physiker und Physikerinnen ist genau dies der Grund anzunehmen, dass Singularitäten das Anzeichen dafür sind, dass an dieser Stelle die Theorie zusammenbricht, also dass sie das ungültige Ergebnis einer an dieser Stelle nicht mehr anwendbaren Theorie sind.* Doch in Anbetracht dessen, dass all jene oben benannten Theorien in so vielen Aspekten so außerordentlich gut experimentell bestätigt sind, so viele höchst präzise Vorhersagen gemacht haben und es bisher keine vergleichbar explanatorisch starken Alternativen gibt, bin ich geneigt, ein Versagen auch an dieser Stelle nicht anzunehmen. Eher nehme ich an, dass es Gründe gibt, echte Singularitäten als notwendiges und wesentliches Element einer etwaigen Theory of Everything zu betrachten, doch darauf komme ich später zurück. Hier sei erst einmal mit ein wenig Vorschussvertrauen die Übereinstimmung der durch die oben genannten Theorien postulierten Singularitäten mit der Realität angenommen.** Vor diesem Hintergrund beginnt der Begriff des Ausgedehntseins seine vermeintliche Klarheit und seine Abgrenzung zum Nichtausgedehntsein zu verlieren: Was ist Ausgedehntsein, wenn es im Nichtausgedehntsein gegründet ist und auch wieder – siehe Schwarze Löcher – zu einem solchen werden kann? Was ist überhaupt Nichtausgedehntsein? Kann man plausibel von Nichtausgedehntsein sprechen, wenn der Begriff „Dimension“ in einer punktförmigen Singularität schlicht nicht definierbar ist? Von „außen“ betrachtet scheint die Singularität ein Punkt zu sein, also keinerlei Ausdehnung zu haben, aber wir dürfen, wenn wir das Zusammenbrechen logischer Kategorien angesichts der Singularität wirklich ernst nehmen, dennoch nicht davon ausgehen, dass wir sie dadurch eindeutig im Sinne einer definierten Dimensionsangabe charakterisiert haben. Das Prädikat „Nichtausgedehntsein“ wäre definiert insofern, als dass der nichtausgedehnten Entität der klar bestimmbare Zustand des Nichtausgedehntseins zukommt (im Sinne des Prinzips der logischen Zweiwertigkeit). Doch es ist ja gerade die schlechthinnige Undefinierbarkeit der Singularität, die sie als solche auszeichnet. Kann man in letzter Konsequenz also wirklich noch von einem wesensmäßigen Unterschied zwischen den beiden Zuständen sprechen? Oder ergibt es angesichts dessen nicht eher Sinn, diese Zustände als zwei Aspekte oder zwei Modi ein- und derselben Entität anzusehen? Der Wechsel zwischen diesen Zuständen scheint jedenfalls, wenn Einstein Recht hat, ein reguläres Ereignis im Naturgeschehen zu sein.
Folgende Frage kann die Unbestimmtheit des Unterschiedes zwischen Ausgedehntsein und Nichtausgedehntsein weiter verdeutlichen: Ist ein Traum ausgedehnt? Also glauben wir, dass das nächtliche Traumerleben in einem außerhalb des eigenen Bewusstseins existierenden dreidimensionalen Raum stattfindet? Ich glaube nicht. Kann man sich im Traum dennoch im Raum bewegen, also hat man Freiheitsgrade der Bewegung? Ja, die hat man, und das kann vollkommen realistisch erlebt werden, obwohl wir uns meines Erachtens sicher sein können, dass der Traum nicht in diesem unseren „real ausgedehnten“ Raum stattfindet, den wir aus der Wachwelt kennen und den wir als Wirklichkeit bezeichnen, sondern dass seine Ausdehnung zumindest in Bezug auf die intersubjektiv zugängliche Wirklichkeit der Wachwelt „imaginär“ ist. Allerdings trifft die Unterscheidung real und imaginär auch nicht ganz den Kern und ist auch ontologisch nicht mit letzter Sicherheit zu behaupten. So ist der Traumraum ja ebenso real für die Erlebende, zumindest im Moment des Traumes. Möglicherweise ist, bezogen auf den Aspekt der räumlichen Ausdehnung, der einzige Unterschied zwischen Traumraum und Weltraum, dass letzterer kollektiv zugänglich ist, ersterer lediglich für die Träumende selbst. Was angesichts der Stabilität unserer Realität im Gegensatz zur Diffusität und Phantastik unserer Träume zunächst absurd klingt, möchte ich in Kapitel 4.2. meines Buches näher erläutern.

So ein Traum ist ja auch eine Art von phänomenalem Erleben. Dieser Traum ist irgendwie ausgedehnt. Ist also phänomenales Erleben ausgedehnt?

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* Spannend ist auch eine andere sprachliche, aber inhaltlich mehr oder weniger identische Variante dieser Begründung, nämlich dass Singularitäten ein Zeichen für den Zusammenbruch einer Theorie an der betreffenden Stelle seien, da Singularitäten unphysikalisch seien. Besonders spannend an dieser allgemein gebräuchlichen Formulierung ist, dass in ihr besonders deutlich eine implizite Überzeugung hervortritt, die im Normalfall völlig unhinterfragt hingenommen wird, nämlich dass alles, was real ist, physikalischer Natur ist. In dieser Aussage steckt also ganz viel Metaphysik – und zwar physikalistische Metaphysik.

** Damit möchte ich die Arbeit an alternativen singularitätenfreien Erklärungsmodellen wie der Schleifenquantengravitation oder den verschiedenen Stringtheorien keineswegs als aussichtslos abtun. Da sie beide auf der Größenordnung der Planck-Skala ansetzen, also der kleinsten Größenordnung, in der die uns bekannten Gesetze der Physik noch ihre Geltung haben können, halte ich sie für wichtige Grundlagenarbeit zu einer weiteren Erkenntnis der Basiskonfiguration von Materie/Energie. Es mag auch möglich sein, eine völlig singularitätenfreie Theorie der Materie zu finden, welches sich experimentell bestätigen und sich auch erfolgreich in technologische Anwendungen überführen lässt. Damit ist dann aber trotzdem nichts ausgesagt über eine etwaige tatsächliche Existenz oder Nichtexistenz von Singularitäten bzw. ist es dann, wie gesagt, eine Theory of Matter, nicht eine Theory of Everything, da, wie ich später ausführen werde, der zentrale mathematische Begriff für das Ich in ihr fehlt.

Absolute Naturen in der Mathematik und Physik: Echte Singularitäten

Dieser Text schließt an den Beitrag „Bin ich identisch mit meinem Erlebnisstrom und daher berechenbar?“ an und ist – mit dem Format entsprechenden Abwandlungen – ein Auszug aus meinem Buch „Phänometrie. Ist Bewusstsein mathematisch greifbar?

Analog zu den linguistischen Sprachen gibt es in der Mathematik durchaus die Möglichkeit, sinnvoll über absolute Naturen zu sprechen, also über Entitäten, die sich wie das Ich durch eine fundamentale Nicht-Relationalität auszeichnen, und zwar indirekt im Sinne eines Verweises auf die – immerhin exakt bestimmbaren – Grenzen mathematischer Definierbarkeit und auf das Sein eines Jenseits dieser Grenze. Diese Entitäten sind die intrinsischen oder echten Singularitäten (im Gegensatz zu sogenannten Koordinatensingularitäten, die durch Wechsel in ein anderes Koor-dinatensystem behoben werden können). Echte Singularitäten zeichnen sich dadurch aus, dass sie mathematisch nicht definiert sind, da hier Unendlichkeiten auftreten. So hat die Null im Grunde genommen die Eigenschaften einer Singularität: Es kann nicht sinnvoll durch Null geteilt werden, da bei dem Teilen durch etwas unendlich Kleines das Ergebnis im Grenzwert ebenso gegen Unendlich streben würde. Dennoch bildet die Null den Ursprung eines jeden Koordinatensystems. Selbst ist sie weder positiv noch negativ und hat damit auch keinen (quantitativen) Wert, bildet aber den Ausgangspunkt sowohl für die positiven und negativen reellen und imaginären Zahlen. Etwas, das an sich mathematisch nicht definierbar ist, bildet dennoch einen zentralen Bezugspunkt allen mathematischen Denkens. Auch in anderen mathematischen Theorien nehmen Singularitäten eine zentrale Rolle ein:

In der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) treten Singularitäten in Form von Schwarzen Löchern auf (lässt man bei der Lösung für ein Schwarzes Loch die Zeit „rückwärts laufen“, d.h. setzt man ein negatives Vorzeichen vor die entsprechenden Feldgleichungen, hypothetisch auch in Form von Weißen Löchern). In der Singularität eines Schwarzen Lochs divergiert die Raumzeit durch unendliche Krümmung, mithin ist die Singularität eines Schwarzen Lochs selbst kein Bestandteil der Raumzeit. Daher sind auch physikalische Größen wie Masse, Größe und Dichte dort nicht mehr definiert bzw. unendlich. Die Singularität eines nichtrotierenden Schwarzen Lochs ist punktförmig, d.h. unendlich klein, im Falle eines ungeladenen rotierenden Schwarzen Lochs ist sie ringförmig, allerdings ist dieser Ring unendlich dünn und hat keine Ausdehnung, da er, wie auch die Punkt-singularität bei r = 0 (Radius = 0) auftritt. Dennoch lässt sich aus den entsprechenden Gleichungen ermitteln, dass die Singularität eines rotierenden Schwarzen Lochs verschieden von der eines nicht rotierenden Schwarzen Lochs ist, da sie nur auftritt, wenn gleichzeitig noch ein anderer Parameter erfüllt ist, aus dem sich eben auf diese Ringform schließen lässt. Es handelt sich hier wie bei den höheren Dimensionen, die in der Quantenphysik so erfolgreich eingesetzt werden, um eine sogenannte „unanschauliche“ mathematische Eigenschaft.

Eine weitere Singularität wird in der Physik in der Urknalltheorie angenommen: Demzufolge entstand das Universum aus einer Singularität, in der – so eine beliebte populärwissenschaftliche Darstellung – all seine jetzigen Bestandteile auf unendlich kleinem Raum zusammengedrängt waren. Korrekterweise müsste man hier allerdings von einem ewigen Nichtraum sprechen (und selbst das ist in Anbetracht der völligen Abwesenheit derjenigen Entität, anhand dieser sich der Nichtraum in der Abgrenzung eben als Nichtraum identifizieren ließe, nicht ganz korrekt), da auch in der Anfangssingularität Dimensionen nicht definierbar sind. Es ist damit auch die Rede von einem unendlich kleinen Raum, auf dem alle Energie des Universums zusammengedrängt war, streng genommen nicht korrekt. Die Raumzeit mit all ihren mathematisch beschreibbaren Eigenschaften trat erst in die Existenz, nachdem sich der Urknall ereignete. Dementsprechend beschreibt die mathematische Theorie das Universum auch erst ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt ab 10-43 Sekunden nach seinem Entstehen, da in der Singularität die Naturgesetze, die erst in Raum und Zeit ihre Wirkung antreten, noch nicht gegolten haben können. (Man bemerke die Parallele zum Ich, das jenseits jeden phänomenalen Erlebens ist und daher auch nicht durch mathematische Berechenbarkeit determiniert ist.) Retrospektiv jedoch kann mithilfe derselben Mathematik logisch nahtlos auf die Anfangssingularität des Universums geschlossen werden! (Auch dies erinnert an das Ich, welches sich selbst lediglich in der Reflexion erkennen kann, in seinem augenblicklichen Vollzug aber uneinholbar für die Erkenntnis ist.) Anders als die Singularität eines Schwarzen Lochs, die von einer bereits bestehenden Raumzeit umhüllt wird und von einem Ereignishorizont umgeben ist, ist die Urknallsingularität von keinem Außenraum umgeben und hat dementsprechend auch keinen Ereignishorizont. Hier wird es etwas anschaulicher, dass es keinen Sinn ergibt, von der Urknallsingularität als etwas unendlich Kleinem zu sprechen, denn es fehlt jeglicher Bezugspunkt zu etwas im Vergleich dazu existierenden Größeren.

Vorausgesetzt, die Urknalltheorie ist korrekt und das Universum hat keinen es umgebenden Außenraum, kann konsequenterweise auch nicht davon gesprochen werden, dass das expandierende Universum immer größer wird, sich also vom Kleinen hin zum Größeren entwickelt, denn es fehlt ein demgegenüber externer Bezugspunkt. Was durch die Expansion tatsächlich geschieht, ist, dass sich Distanzen von Objekten innerhalb des Universums vergrößern. Insofern könnte das Universum selbst als absoluter Ereignishorizont (im Vergleich zum relativen Ereignishorizont eines schwarzen Lochs, auf den man von außen schauen kann) interpretiert werden. So betrachtet hat das Universum noch immer den Charakter einer Singularität, nur dass diese dadurch charakterisiert ist, dass anders als beim schwarzen Loch nicht sinnvoll von einem sie umgebenden Außen gesprochen werden kann bzw. in einem hypothetischen Außen ebenso wie in der Anfangssingularität alle raumzeitlichen Attribute nicht existent sein können, weil das Universum, wenn es aus einer Singularität kam, die Totalität alles raumzeitlich Existierenden sein muss. Ein etwaiges „Außerhalb“ wäre ein „Nirgendwo“. Man könnte sich fragen, ob dann nicht dieses „Nirgendwo“ als eine Entität jenseits der Raumzeit nicht auch den Charakter einer Singularität hat. So gefasst bietet sich das Bild eines Universums, welches aus einer Singularität entstanden und noch immer vollkommen „eingebettet“ in eine Singularität ist (wobei der Begriff des „Eingebettetseins“ wieder irreführend ist, suggeriert er doch eine raumzeitliche Relation), woraus sich auch hier wieder die mögliche Schlussfolgerung ergibt, dass das Universum selbst auch nichts anderes sei als eine Singularität – jedoch eine, die dazu fähig ist, ihren Modus zu wechseln. Mit den Punkt- und Ringsingularitäten in nichtrotierenden und rotierenden Schwarzen Löchern existieren bereits zwei Entitäten mit je völlig verschiedenen Eigenschaften im Kanon der theoretischen Physik, denen dennoch beiden die fundamentalere Eigenschaft der Singularität zukommt. Daraus folgt, dass eine Singularität offenbar verschiedene Modi annehmen kann, ohne dabei ihre Eigenschaft als Singularität zu verlieren. Zumindest kann aber, wenn vielleicht der Begriff der Singularität in Bezug auf das Universum nicht ganz adäquat ist, weil uns durch eine Verwässerung des Vokabulars die Unterscheidungsmöglichkeiten verloren gehen, gesagt werden, dass das Universum nicht wesensverschieden von der Singularität sein kann, aus der es geboren ist und, so wie die Urknallsingularität offenbar den Keim des Universums in sich trägt, das Universum den Keim der Singularität in sich trägt. Die beiden sind offenbar fundamental verwandt.

Analoge Überlegungen ergeben sich für das Alter des Universums: Auch wenn das Universum erst 14 Milliarden Jahre alt ist, muss man zugleich sagen, dass es schon immer existiert hat, wenn „immer“ als zeitlicher Begriff verstanden wird. Denn vor dem Universum war keine Zeit, dementsprechend war es nie nicht. Es gibt kein „Davor“, weil Zeit in einer Singularität nicht definiert ist. Diese 14 Milliarden Jahre sind eine relativistische Größe, die nur für Entitäten innerhalb des Universums Sinn ergibt, die nicht identisch mit dem Universum als Ganzes sind. Wenn man also den Begriff der Zeitlichkeit in seiner Totalität und in Bezug auf die Singularität betrachtet, verschwimmt auch er an seinen Grenzen in die Ewigkeit.

Im Rahmen der Quantenfeldtheorien werden Elementarteilchen als punktförmig, also im mathematischen Sinne auch als echte Singularitäten aufgefasst. Sie sind also laut Theorie Entitäten, die keinerlei Ausdehnung haben und masselos sind. * Ihre unterschiedlichen Massen erhalten sie laut des Standardmodells der Elementarteilchenphysik durch die Kopplung mit dem sogenannten Higgsfeld. Es gibt jedoch Bestrebungen, sowohl in der Kosmologie als auch in der Elementarteil-chenphysik Theorien ohne derartige Singularitäten zu erstellen, da es a) umständlich ist, mit Unendlichkeiten zu rechnen und b) Elementarteilchen ohne jegliche Ausdehnung im Konflikt mit der ausgedehnten Wirklichkeit zu stehen scheinen, in der wir leben. Ich glaube jedoch, dass hier kein Konflikt vorliegt – oder wir umgekehrt feststellen müssen, dass viel mehr ein unerkannter grundsätzlicher Konflikt bezüglich unseres Verständnisses von Ausdehnung vorliegt. Auch die Gegensätze zwischen Ausdehnung und Nichtausdehnung scheinen, in ihrer Totalität konsequent durchgedacht, ineinander zu fließen.

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*Streng genommen ist die Rede von Elementarteilchen ohnehin irreführend, da in der Physik seit einigen Jahrzehnten das, was wir ein Elementarteilchen nennen, als lokale Anregung eines zugehörigen omni-präsenten Feldes gesehen wird. Auch Bewegungen der Elementarteilchen lassen sich erschöpfend mit Änderungen der Anregungszustände der entsprechenden Felder erklären. Man könnte sagen, dass das, was wir als Elementarteilchen identifizieren, eine lokale Vibration ist, die sich wellenartig in ihrem Feld fortpflanzt. Ein Elementarteilchen ist damit gar nicht als autarke, fundamentale Entität zu betrachten, sondern viel mehr das ihm zugrundeliegende Feld, welches an jedem existierenden Raumzeitpunkt anwesend ist. Diese Sicht wird zusätzlich dadurch bestärkt, dass alle Elementarteilchen eines Typs als identisch gelten: Zwei Elementarteilchen des gleichen Typs im gleichen Zustand sind ununterscheidbar voneinander. Bei einer Menge von n Elementarteilchen des gleichen Typs ist zwar die Gesamtanzahl der Teilchen bestimmbar, aber nicht, welches konkrete Teilchen welchen konkreten Zustand innehat. Im Experiment gelingt die Unterscheidung identischer Teilchen nur durch die Betrachtung unterschiedlicher Endzustände – es ist aber unmöglich, zu bestimmen, welches konkrete Teilchen woher kam und welchen Weg es genommen hat. Dies könnte eine Metaphorik bieten, über Individuen bzw. deren Ich-Instanzen nachzudenken. Sind sie auch ununterscheidbar im gleichen Zustand, also jenseits eines konkreten Handelns bzw. jenseits einer konkreten Aktualisierung in der Raumzeit, als aktualisierte Individuen in der Raumzeit jedoch unterscheidbar?

Bin ich identisch mit meinem Erlebnisstrom und daher berechenbar?

Dieser Text schließt an den Beitrag „Sind Wahrnehmung, Gedanken und Gefühle berechenbar?“ an und ist – mit dem Format entsprechenden Abwandlungen – ein Auszug aus meinem Buch „Phänometrie. Ist Bewusstsein mathematisch greifbar?

Das lädt natürlich zu Widerspruch ein. Zum Einen ist es der Umstand, dass wir unseren Bewusstseinsstrom nicht als Ansammlung unzähliger kleiner Daten- und Zahlensätze erleben, die in irgendeiner Rechenoperation zusammengezählt nachträglich unser alltagsbewusstes Erleben ergeben. Zwar hat unser Erleben verschiedene voneinander unterscheidbare Aspekte und Qualitäten, doch ist es von vornherein in sich eins. Zum Anderen widerstrebt der Gedanke, wir seien durch mathematische Operationen determiniert, unserer Intuition, freie und kreative Individuen zu sein.

Um dem zu begegnen, will ich untersuchen, warum genau die oben angesprochene fundamentale Einheit des Erlebens der Fall ist. Meines Erachtens kann der Grund dafür nicht in den Relationen der Erlebnisse zueinander gesucht werden (wie es beispielsweise Whitehead tut, was interessanter-weise nichts anderes ist als das Postulat, dass diese fundamentale Einheit aus relationalen und damit prinzipiell mathematisch fassbaren Vorgängen herrührt, denn Mathematik ist die Wissenschaft von der Relation von Entitäten zueinander), sondern muss in einer mit sich identischen Instanz liegen, auf die sich alle diese Erlebnisse ultimativ beziehen: Es ist unser personal einheitliches Ich-Empfinden, das das In-sich-eins-Sein unseres Erlebens ausmacht. Wir sind es, die das alles erleben. Wir bleiben, was dieses reine Ich-Erleben angeht, mit uns identisch trotz aller wechselnden Erlebnisinhalte, trotz des Wechsels unserer Überzeugungen, Annahmen, Stimmungen, Erkenntnisse etc..

Zwar hat das phänomenale Erleben etwas für sich selbst Stehendes. Dass beispielsweise das visuelle Erleben der Farbe Rot nicht sinnvoll in noch fundamentaleren Begrifflichkeiten beschrieben werden kann (hier ist wohlgemerkt der Erlebensgehalt, der qualitative Aspekt gemeint – also wie es ist, rot zu sehen, und nicht die physikalischen Fakten, die dazu führen, dass etwas von jemandem als rot wahrgenommen wird), leuchtet vermutlich jedem sehenden Menschen nach kurzer Reflexion ein. Mein Erlebnis der Farbe Rot hat etwas fundamental Einheitliches und zutiefst Unmittelbares an sich. Ich muss es im Erleben nicht zuerst aus noch fundamentaleren Erlebnisbausteinen synthe-tisieren, um dann zur Erkenntnis „ich sehe Rot“ zu kommen und auch andersherum kann ich, sozusagen aposteriori, nichts Fundamentaleres erleben, aus dem das Rot zusammengesetzt ist, was selbst nicht rot ist (noch einmal: es geht hier um das Erleben der Farbe Rot und nicht um die damit korrelierenden physikalischen Prozesse), sondern ich sehe ganz einfach und unmittelbar Rot. Es mag zwar Teil eines weiter gefassten Erlebensprozesses sein, in dem es auch andere Aspekte als die Farbwahrnehmung „rot“ gibt, doch für deren Erleben gilt dies analog. Die Farbwahrnehmung „rot“ ist qualitativer Natur und deren Wahrnehmung kann nicht erschöpfend beschrieben werden durch emittierte Wellenlängen, die auf die Retina treffen, von dort ins Gehirn gelangen und neuronale Prozesse auslösen. Selbst wenn ich ein vollständiges Wissen über diese Vorgänge erlangen würde, würde ich dadurch nicht die Farbwahrnehmung selbst erleben – zumindest gehöre ich jener Fraktion an, die genau das glaubt und es nicht für plausibel hält, dass ein vollkommenes Wissen über all jenes in einem spontanen, unmittelbaren Erleben der Farbe Rot münden würde. Durch ein mathematisches Wissen über die Vorgänge kann ich lediglich auf die Außenseite des Phänomens schauen. Durch das Erleben der Farbe Rot würde ich daher etwas Neues lernen (wenn ich um des Gedankenexperiments willen annehme, dass ich vorher noch nie Rot gesehen habe), was ich nicht durch den Erwerb vollständigen Wissens über die physikalischen Fakten gelernt habe. Dadurch würde ich erst dasjenige Phänomen erleben, über dessen strukturelle Merkmale ich bereits vollständig Bescheid weiß. Für mich liegt das auch aus anderem Grund völlig auf der Hand, dass ich durch ein vollständiges, nicht visuell erlebnismäßiges Wissen über die physischen Vorgänge, die der Farbe Rot und unserer visuellen Wahrnehmung von ihr angehörig sind, keine Erfahrung von Rotsehen selbst erlange: Ich gehe einfach nicht davon aus, dass Sprache die Wirklichkeit selbst ist und direkte visuelle Eindrücke auslösen kann. Wohl vermag die eigene Imaginationskraft dies vermittels Sprache zu tun, aber dazu benötigt es die vorherige direkte Erfahrung desjenigen, was ich imaginiere. Mir ist kein einziger Fall bekannt, bei dem dies anders gewesen ist. Auch gehe ich nicht davon aus, dass der Sehsinn auf die anderen Sinne reduzierbar ist. Denn ich kann ja Wissen über all diese physischen Fakten nur sprachlich oder über andere Sinnesorgane vermittelt bekommen, wenn das direkte visuelle Erlebnis ausgeschlossen ist. Für mich ist evident, dass es nicht möglich ist, den erlebnismäßigen Aspekt von Materie auf ihren strukturellen Aspekt zu reduzieren – ähnlich wie es uns völlig klar ist, dass die Landkarte nicht das Gebiet selbst ist, das sie darstellt – und dass Rot sehen etwas anderes ist als Informationen über andere Sinneskanäle über die Farbe Rot zu bekommen oder meinetwegen auch visuelle Informationen über die Farbe Rot, die nicht die Rotheit selbst sind (indem man zum Beispiel mit den Augen einen Text über die Farbe liest oder ein Diagramm anschaut, in dem ihre Wellenlänge dargestellt ist).

Allerdings ist es in Wahrheit gar nicht so einfach, den strukturellen von dem erlebnismäßigen Aspekt abzugrenzen, denn ist es ja so, dass die Aneignung von Wissen über die Farbe Rot, welches nicht das Sehen der Rotheit selbst einschließt, ebenso ein Erlebnis ist wie das visuelle Erlebnis der Rotheit. Also müsste man viel mehr sagen, dass das, was wir bisher den strukturellen Aspekt genannt haben, ebenfalls zu einer Ansammlung erlebnismäßiger Aspekte der Farbe Rot wird, wenn wir anfangen, uns das Wissen über diese anzueignen – nur eignen wir uns eben eine Erfahrung all jener Aspekte an, die Rot aufweist, ohne Rotheit selbst zu sein. Wir erleben diese Wissens-aneignung, wir müssen sie vollziehen. Es ist evident, dass ein vollzugsmäßiger Unterschied zwischen dem Erleben der Wissensaneignung ohne das direkte visuelle Erleben der Rotheit und dem Erleben der Wissensaneignung durch das direkte visuelle Erleben der Rotheit besteht. Diese Erlebnisvollzüge sind eindeutig voneinander unterscheidbar und ich halte es wie gesagt auch ohne die Notwendigkeit eines weiteren Beweises für unmöglich, dass im Endergebnis dasselbe dabei rauskommen wird. Im Folgenden werde ich davon als Prämisse ausgehen und werde den entsprechenden im Leib-Seele-Diskurs vielfach unter dem Namen Wissensargument oder Mary’s Room diskutierten Gedankengang hier nicht weiter ausführen.

Auch Qualia – also die Erlebnisgehalte mentaler Zustände im Zusammenhang mit den auslösenden physiologischen Reizen – wie das Erleben der Farbe Rot scheinen demnach etwas in sich Abgeschlossenes, in irgendeiner Weise Fundamentales zu haben. Doch was verleiht ihnen diesen Charakter? Der Begriff der Qualia ist meines Erachtens gerade dadurch definiert, dass sie für jemanden irgendwie sind, also von jemandem erlebt werden – erst das Vorhandensein von personal einheitlichem Bewusstsein macht die Rede von Qualia intelligibel. Wenn niemand da ist, der erlebt, wie soll man da von Erlebnisgehalten sprechen? Somit können sie selbst nicht wirklich fundamental sein, wenn sie zur Voraussetzung haben, dass jemand sie erlebt. Viel eher scheint dieser „Jemand“, wenn dieser die Voraussetzung bildet, den Status des Fundamentalen zu haben. Also können es nicht die Inhalte phänomenalen Erlebens sein, die ihm den Charakter des fundamental Einheitlichen verleihen, sondern der oder die Erlebende, die Instanz, die „ich“ zu sich selbst sagt und die das Erleben überhaupt zu einem solchen macht, selbst aber nicht mit dem Erlebnis identisch ist. Jemand hat die Farbwahrnehmung Rot, anderenfalls würde es überhaupt keinen Sinn machen, von Erleben zu sprechen. Ferner hat das phänomenale Erleben an sich, wie oben auch schon erwähnt, sehr wohl voneinander unterscheidbare Aspekte durch seine wechselnden Inhalte. Es durchläuft eine Entwick-lung in der Zeit und zeichnet sich dadurch auch durch eine Form der Relationalität und Relativität aus. Das Gleiche gilt für sämtliche kognitiven Inhalte: nicht nur Sinneswahrnehmungen, auch Gefühlserleben und der Gedankenstrom sind prozessual und damit einer Entwicklung in der Zeit unterworfen. Folglich kann es nur der Erlebende selbst bzw. sein Ichsein sein, welches den kognitiven Prozessen inneren Zusammenhang verleiht, und diese Fähigkeit kommt ihm nur deswegen zu, weil es anders als die Inhalte des Erlebens selbst konstant und mit sich identisch bleibt. Erleben bekommt seinen einheitlichen Ausgangs- und Bezugspunkt nur durch das Ich, durch das das Erlebnis erst erlebnishaft ist.

Nun könnte man noch wie beispielsweise Whitehead oder andere Prozessphilosophen behaupten, dass dieses Ich eine Instanz ist, die entsteht, wenn die jeweiligen Einzelmomente nur die richtige Beziehung zueinander aufweisen bzw. dass das Ich gar identisch mit diesen Beziehungen sei (quasi analog zur physikalistisch-funktionalistischen Argumentation, die behauptet, mentale Zustände seien identisch mit den kausalen Beziehungen, die die physischen Entitäten, die das neuro-physiologische Netzwerk des Gehirns formen, untereinander haben). Doch dieses personal ein-heitliche Ich kann aus meiner Sicht nichts Abkünftiges aus irgendwie aufeinander bezogenen Erlebnisschnipseln oder gar identisch mit deren Beziehungen zueinander sein. Im ersten Falle setzt dies wieder die Rede von Qualia in Abwesenheit eines Jemand voraus, der sie erlebt (denn dieser Jemand soll ja erst aus den Erlebnisschnipseln hervorgehen), was ich für nicht plausibel halte. Nehme ich den zweiten Fall der Identität an, stellt sich die Frage: Woher sollen diese Einzelmomente in ihrer Vielheit die Fähigkeit nehmen, etwas fundamental Einheitliches zu konstituieren, das ungeachtet aller Erlebnisinhalte mit sich identisch bleibt? So groß auch die Ähnlichkeit der Einzelmomente von Moment zu Moment zueinander sein mag, so fällt es mir sehr schwer, das, was ich als Ichsein erlebe, als dadurch instantiiert oder auch damit identisch aufzufassen. Es wäre dieser Serie von einander sehr ähnlichen Einzelmomenten vielleicht möglich, eine Art von illusionärer Identität zu erzeugen, die in Wahrheit nur eine Ähnlichkeit von Moment zu Moment darstellt und uns damit irgendwie unsere Ich-Existenz vorgaukelt (die kursiv gehaltenen Worte zeigen, dass wir einfach nicht aus der fundamentalen Ichvoraussetzung allen Erlebens herauskommen, aber um der Klarheit willen will ich das Argument noch weiter durchspielen). Doch angesichts der einzigen Tatsache, die ich mit absoluter Sicherheit behaupten kann, nämlich dass ich bin, scheint mir diese Erklärung nicht überzeugend. Diese Einheit kann nichts sein, was aposteriori aus etwas nicht Einheitlichem entsteht und in Wahrheit lediglich etwas ist, was sich von Moment zu Moment ähnelt. Denn Ähnlichkeit ist keine transitive Relation, das heißt, die Ähnlich-keitsrelation von a zu b ist nicht identisch mit der Ähnlichkeitsrelation von a zu z: Das letzte Glied einer Kette von konstant zueinander ähnlichen Momenten kann schon keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem ersten Glied haben, wenn die Kette nur lang genug ist. Die jeweils benachbarten Momente und auch noch ihre nähere Umgebung mögen einander noch an Identität grenzend ähnlich sein, aber wenn man weit voneinander entfernte Momente vergleicht, sind sie einander sehr unähnlich.

Nachvollziehbarer wird dies vielleicht durch ein kurzes Gedankenexperiment: Denken Sie zurück an zwei oder drei verschiedene Erlebnisse in ihrer Vergangenheit. Sie alle werden sich voneinander sowohl räumlich als auch zeitlich als auch inhaltlich unterscheiden. Die einzelnen Erlebnisse für sich genommen waren in sich schlüssig und stimmig und Sie erlebten keine unlogischen Brüche im Realitätsgefüge, das heißt, die vielen kleinen Einzelmomente, aus denen sie bestanden, waren völlig schlüssig aufeinander bezogen. Bis hierhin könnte man eventuell noch behaupten: Es kann möglicherweise innerhalb des begrenzten Rahmens eines Erlebnisses aufgrund der Ähnlichkeit seiner Konstituenten so etwas wie eine schwache Identität entstehen (auch wenn es eigentlich letztlich völlig willkürlich ist, an welchen Punkten im Leben man die Grenzen setzt und den Zeitraum zwischen diesen Grenzen dann als ein Erlebnis bezeichnet – diese Grenze ist eine künstliche). Wenn Sie nun aber die verschiedenen Erlebnisse miteinander vergleichen, werden Sie feststellen, dass Ihr Körper bei jedem Erlebnis ein anderes Alter und eine andere Konstitution gehabt haben wird, vielleicht haben sich auch Ihre psychische Verfassung, Ihre Werte, Über-zeugungen und Charaktereigenschaften gewandelt. Sie haben vielleicht gar eine komplette Persönlichkeitsveränderung durchgemacht. Doch wer war diese Instanz, die sowohl die zueinander ähnlichen Einzelmomente innerhalb des einen Erlebnisses als auch den ganzen weiten Bogen der unterschiedlichen Erlebnisse erlebt hat? Vermutlich würden Sie ganz einfach sagen: „Ich war das.“ Zumindest, wenn ich dies für mich durchexerziere, gibt es eine Instanz, die sich durch all die wechselnden Umstände und Erfahrungen hindurch konstant gehalten hat. So war ich immer ich, egal, wie sehr sich meine Persönlichkeit, mein Weltbild, mein Körper oder meine Lebensumstände geändert haben. Das Ich selbst unterlag dabei keinerlei Metamorphose, was man ja aber annehmen müsste, wenn man annimmt, dass es aus Ähnlichkeitsrelationen zwischen den Einzelmomenten entsteht. Es gibt aufgrund dieser starken Identität am Grunde allen Erlebens gute Gründe anzunehmen, dass diese Instanz, also das Ich, nicht mit den Umständen, Erfahrungen und Erinnerungen identisch sein kann und auch nicht aus diesen durch die richtige Bezogenheit entsteht. Das Ich ist und bleibt offenbar nur mit sich selbst identisch.

Phänomene wie Derealisation oder Depersonalisation oder Krankheiten wie Schizophrenie oder Dissoziative Identitätsstörung könnte man zunächst als Gegenargumente gegen meine These anführen, da es bei ihnen ja eben doch zum Verlust des Ichgefühls oder Aufspaltung des Ich in verschiedene Persönlichkeiten kommt, aber ich denke, dass, wenn in der Psychologie vom Ich-Verlust geredet wird, der Begriff des Ich eine andere Bedeutung hat als der, den ich hier verwende. Da ich das Ich nicht identifiziere mit Persönlichkeitsmerkmalen, weder mit mentalen noch mit physischen, gehe ich davon aus, dass es dennoch immer je ein und dasselbe Ich ist, das Phänomene wie Derealisation oder Depersonalisation erlebt oder eben, im Fall der DIS, ein- und dasselbe Ich in verschiedene Persönlichkeiten hineinschlüpft. Wenn ich mich an Phasen meines Lebens erinnere, in denen ich aufgrund einer schweren Depression Zustände der Depersonalisation und Derealisation erlebte, so war es ganz klar ich, die das erlebte – auch wenn ich es zuweilen als sehr verstörend erlebte, dass alle Persönlichkeitsmerkmale auf einmal gewissermaßen zur Disposition standen und auch die Identifikation mit meinem Körper und meiner Biografie sich in Fragezeichen aufzulösen schien. Dennoch war das Ich damals dasselbe Ich, in dessen Bewusstsein jetzt der Schreibvorgang dieses Essays erscheint. Freilich ist es zum einen eine anekdotische Erzählung und zum anderen das Erleben aus der Perspektive einer damals depressiv Erkrankten. Daher ist die Frage, ob das in Bezug auf die oben genannten Krankheiten überhaupt eine Aussagekraft hat – denn man kann zum Beispiel anzweifeln, dass die Derealisation und Depersonalisation, die Schizophrene oder Menschen mit DIS erleben, mit den Depersonalisations- und Derealisierungszuständen einer Depression vergleichbar ist. Aber eigentlich spielt das keine große Rolle, denn ich identifiziere das Ich mit keinerlei veränderlichen (Bewusstseins-)Zuständen, sondern mit nichts außer mit sich selbst. Damit ist das Ich auch zum einen nicht identisch mit Wahrnehmung. Zum anderen ist die Anerkennung der Gültigkeit dieses Ich-Begriffs von der Bedingung enthoben, dass man sich im alltagsbewussten Zustand ans Vorhandensein des Ich-Gefühls erinnern muss – und damit möchte ich meine Entgegnung auf das Argument einläuten, dass schizophrene Menschen im Extremfall doch so etwas wie einen totalen Ich-Verlust erleben, also davon berichten, in einem schizophrenen Schub phasenweise gar nicht mehr da gewesen zu sein. Erinnerung ist eine Funktion, die jenseits des reinen Ichseins anzusiedeln ist und zum raumzeitlichen Aspekt der Wirklichkeit gehört. Ich jedoch nehme das Ich als jenseits der Raumzeit an. Es ist völlig leer und noch nicht mal das ist eine gültige Aussage, da „leer“ ein Begriff ist, der sich auf relationale und damit auf raumzeitliche Zustände bezieht. (Mir ist bewusst, dass diese Aussage einigen Wissenschaftlern die Haare zu Berge stehen lassen wird, da der allgemeinen Auffassung nach mit leeren Begriffen keine präzise wissenschaftliche Rede möglich ist. Dies ist für relative Phänomene zweifellos korrekt. Doch ich komme nicht umhin, das Ich als diejenige Instanz zu betrachten, die per definitionem nicht definierbar im Sinne einer horizontal-relationalen Definition ist. Ich schreibe mehr dazu in den folgenden (Unter-)Kapiteln.) Daher würde ich auch nicht davon sprechen, dass im Tiefschlaf unser Ich verschwindet, sondern ich würde sagen, dass lediglich keine Erinnerung an die Zeit vorhanden ist, in der sich unser Körper im Tiefschlaf befindet. Eventuell ist auch keine Wahrnehmung vorhanden – dazu kann aber logischerweise nichts gesagt werden, wenn keine Erinnerung vorhanden ist. Interessant in dem Zusammenhang ist aber die Fähigkeit einiger im luziden Träumen geübten Menschen, den Zustand des Tiefschlafs eben doch zu erinnern. Es gibt in der Disziplin des luziden Träumens einen Zustand, der „Basale Klarheit“ oder auch „Traumlose Klarheit“ genannt wird und der Berichten von geübten Träumenden zufolge die ganze Nacht und auch im Tiefschlaf beibehalten werden kann. Dies wird zum Beispiel vom Psychologen, Klartraumforscher und Klarträumenden Paul Tholey berichtet. Er erzählte unter anderem 1989 in einem Interview mit dem Psychologen und Klartraumforscher Stephen Laberge, das bei der „Association for the Study of Dreams (ASD)“-Konferenz in London stattfand, davon. Auch der Klarträumer und Astralreisende Jürgen Ziewe berichtet davon, diesen Zustand zu erinnern, zum Beispiel in dem YouTube-Video „Weitere Antworten über das Leben nach dem Tod“ auf seinem Kanal „Jurgen Ziewe“. Auch der Zustand des reinen Gewahrseins jenseits der Zustände Wachen, Träumen und Tiefschlaf, welches bereits in der Mandukya-Upanishad als vierter Bewusstseinszustand aufgeführt und mit dem Begriff „Chaturtha“ (Sanskrit für „der Vierte“) bezeichnet wurde, hat Ähnlichkeiten mit der Basalen Klarheit. Ein heute geläufigerer, synonymer Begriff für den Chaturtha-Zustand ist der Begriff „Turi-ya“. Das Erreichen des Turiya-Zustandes wird in einigen yogischen und hinduistischen Strömungen als das höchste Ziel des Lebens angesehen. Berühmte Beispiele für Menschen, die den Turiya-Zustand nach eigenen Angaben erreicht haben, sind der Yogi Paramahansa Yogananda oder der Begründer des Gaudiya Vaishnavismus, Chaitanya Mahaprabhu. Doch liest man sich die Erfahrungsberichte beispielsweise in Klartraumforen durch, so wird schnell klar, dass auch ganz gewöhnliche Menschen, die keine weltweite Bekanntheit genießen oder eine eigene spirituelle Bewegung gegründet haben, diesen Bewusstseinszustand erreicht haben.

Ein weiterer interessanter Zustand, den klarträumende Menschen kennen, ist der Zustand des Voids. Auf der Plattform Klartraum-Wiki, einer Enzyklopädie für den Themenbereich des luziden Träumens, wird er beschrieben wie folgt:

„Als Void wird oft ein Zustand zwischen den Träumen beschrieben, in den man etwa von einem Traum aus gelangt und von welchem aus man auch in einen willentlich bestimmten oder zufällig entstandenen weiteren Traum reisen kann. Alternativ kann man auch im Void verweilen. Das Void stellt dabei einen „leeren Raum“ dar, allerdings ohne ein geometrischer Raum zu sein. Meist wird es als Schwärze beschrieben, zugleich heißt es aber, dass eigentlich nichts wahrgenommen wird, also auch kein visueller Eindruck von Schwärze. Es handelt sich deswegen auch nicht bloß um einen Traum, in dem nur die Sicht „ausfällt“, sondern um einen Zustand ohne jegliche Wahrnehmung.“

https://www.klartraum-wiki.de/wiki/Traumlose_Klarheit#Void

Hier wird also ein „Zustand ohne jegliche Wahrnehmung“ beschrieben, der – nimmt man an, dass sich die nächtlichen Bewusstseinszustände von luzide Träumenden nicht grundsätzlich von denen gewöhnlicher „Trübträumer“ unterscheidet, sondern dass der einzige Unterschied zwischen Klarträumern und Trübträumern lediglich darin besteht, dass sich Erstere an mehr erinnern als Letztere – ein häufiger Zustand zwischen zwei Träumen ist. Normalerweise wird dieser nicht erinnert, aber es gibt offenbar Menschen, die sich eben doch daran erinnern, auch noch in einem Zustand jenseits jeglicher Wahrnehmung bewusst zu sein.

Leider ist zu allen oben genannten Phänomenen – Basale Klarheit, Turiya, Void – bisher relativ wenig systematische Forschung von wissenschaftlicher Seite betrieben worden.¹ Dementsprechend müssen diese Erlebnisberichte aus derzeitiger wissenschaftlicher Perspektive eher als Anekdoten oder gar als religiöse Überzeugungen gesehen werden, dennoch denke ich, dass inzwischen eine ausreichende Menge von Menschen unabhängig voneinander von diesem Phänomen berichtet hat, um das Phänomen als real zu betrachten und es systematisch zu erforschen. Für meine Zwecke führe ich es hier an, um die These zu untermauern, dass Ichsein auch vorhanden ist, wenn 1. die Erinnerung aussetzt, was die Beispiele von Menschen belegen, die sich eben doch an ihre bewusste Anwesenheit während Zuständen erinnern, an die normalerweise keine Erinnerung vorliegt, und 2. keinerlei Wahrnehmung vorhanden ist wie im Void.

Wenn es nun nicht unsere relativen Eigenschaften sind, die uns zu uns selbst machen bzw. unsere Identität begründen, sondern ein reines Ich jenseits aller Relata, ergibt sich daraus eine andere Frage, und zwar, ob, und wenn ja, inwiefern sich das Ich der einen Person gegenüber dem Ich einer anderen Person abgrenzen lässt. Auch ist fraglich, ob ein Ich jenseits aller Relata überhaupt identifizierbar wäre (sowohl von „innen“ heraus als reines „Ich bin“ als auch von „außen“ als ein „Da ist jemand“) und ferner, ob die hier vorgestellte Position nicht in das Postulat führt, dass wir jenseits unserer relativen Unterschiede alle dasselbe Ich (im quantitativen Sinne) haben bzw. sind. Das scheint auf den ersten Blick sehr unplausibel: Es ist offensichtlich, dass ich nur meinen Leib von innen erlebe und nicht den meiner Mitmenschen, und dass ich ebenso wenig deren Gedanken denke. Der Frage nach der Unterscheidbarkeit und Identifizierbarkeit der Ich-Instanzen wird später ausführlicher nachgegangen und der Antwort darauf scheint eine fundamentale Unentscheidbarkeit anzuhaften. Zunächst möchte ich jedoch noch einmal auf die oben angeführte Grundintuition zurückkommen, die besagte: Erleben bekommt seinen fundamental einheitlichen Charakter nur durch diejenige, für die das Erlebnis irgendwie ist und nicht durch das phänomenale Erleben selbst. Das Postulat, dass phänomenales Erleben mathematisch fassbar sein muss, steht also nicht im Konflikt mit dem Empfinden der fundamentalen Einheit desselben, weil diese einen anderen Ursprung hat. Auch kann festgestellt werden, dass Intentionalität und teleologische Orientierung (also jene Eigenschaften, wegen derer wir uns als ein Wesen mit freiem Willen und Absichten begreifen) ebenfalls nicht mit mentalen Vorgängen identifiziert werden können. Die Argumentation ist hier völlig parallel zu jener bezüglich der Qualia: Die Rede von Intentionalität und teleogischer Orientierung ist nur intelligibel unter der Annahme eines Jemand, der intentional und teleologisch orientiert ist. Es ist immer ein Ich, das intentional ist, nicht ein mentaler bzw. phänomenaler Vorgang an und für sich. Es braucht für eine Intention freilich etwas, auf das sie sich richten kann, ein Medium, in dem sie sich auswirken kann. Doch aus dem phänomenalen Erleben selbst oder aus einer Abfolge von Einzelerlebnissen mit spezieller Relation zueinander lässt sich eine Entstehung von Intentionalität nicht ableiten, weil sich die Entstehung eines Ichs daraus nicht ableiten lässt – welches aber vorhanden sein muss, damit die Rede von Intentionalität intelligibel ist. Das bedeutet, dass das Ich, welches der Ursprung der fundamentalen Einheit unseres Erlebens ist, ebenso der Ursprung unserer Freiheit ist, wenn wir Freiheit als das Vorhandensein von Intentionen (oder Willen) und die Möglichkeit, diese durch Entscheidungen und darauf basierende Handlungen zu verwirklichen, begreifen. Also hat auch unsere Freiheit ihren Ursprung jenseits mathematischer Gesetzmäßigkeiten und wird von diesem Postulat nicht berührt. Unser freier Wille liegt jenseits des phänomenalen Erlebens und kann niemals durch einen logischen Determinismus eingeholt werden. Freilich sind der Verwirklichung unserer Absichten Grenzen gesetzt, es gibt also Bedingungen, unter denen wir ihn realisieren können – vor allem darf die zu realisierende sich nicht im logischen Widerspruch zum Rest der Welt befinden – , aber der Wille selbst, der ist frei und nicht Teil einer Kausalkette, in der er ein determiniertes, eingezwängtes Glied unter anderen Gliedern ist. Er ist viel mehr der Ursprung neuer Kausalketten – die, wie erwähnt, freilich nicht im logischen Widerspruch zu bereits existierenden Kausalketten stehen dürfen. (Die Annahme eines deterministischen Weltbilds, welches die Freiheit des Willens leugnet, führt tatsächlich in letzter Konsequenz die Logik selbst ad absurdum und sägt damit den eigenen Ast ab, siehe Kapitel 3.5.1..)

Nun stellen sich folgende Fragen:

  1. Könnte, analog zu unserer Vokabel des „Ich“ im linguistischen Sprachgebrauch, auch in der Mathematik ein Symbol gefunden werden, das es ermöglicht, über jene Instanz zu sprechen, in der unsere Identität (im Sinne von „mit dem eigenen Ich identisch sein“), die Einheit unseres phänomenalen Erlebens und unsere Freiheit gegründet sind? Sind in der Mathematik schon Entitäten mit geeigneten Kriterien bekannt?
  2. Wie kann eine Mathematik des phänomenalen Erlebens konkret aussehen? Unterscheidet sie sich prinzipiell von der bisher bekannten gewöhnlichen Mathematik beziehungsweise muss die gewöhnliche Mathematik um diese ergänzt werden oder ist die gewöhnliche Mathematik, wie sie zur Berechnung des Verhaltens von Materie angewendet wird, bereits eine Mathematik des phänomenalen Erlebens, weil die mathematisch beschriebene Materie ja auch immer die von uns erlebte Materie ist? Braucht es nochmal eine „extra“ Mathematik der Gedanken und Gefühle und wenn ja, in welchen Räumen ist diese zu finden?
  3. Ist es überhaupt wünschenswert, eine Mathematik zu betreiben, in der das Ich und der subjektive Aspekt mit einbezogen werden? Was würde uns das bringen und welche Konsequenzen hätte das?

Ich beginne mit der Diskussion der ersten Frage…

__________________________

¹ Ich persönlich finde, dass auch dem Ansatz der Selbsterfahrung und -erforschung derjenigen Menschen, die mit ihrem eigenen Bewusstsein in jener Hinsicht praktizieren, durchaus verdient das Attribut der Wissenschaftlichkeit zugesprochen werden kann, sofern sie sorgfältig darauf achten, dass sie ihre Erlebnisse nicht durch religiöse oder philosophische Vorannahmen interpretieren oder sich zumindest dieser Voran-nahmen bewusst sind und sie im Sinne wissenschaftlicher Redlichkeit offenlegen. Es gibt durchaus einige Menschen, die derart methodisch vorgehen, dann ihre eigenen Schlüsse basierend auf ihrer eigenen Erfahrung ziehen und darüber im Modus des Berichts und der argumentativen Verteidigung der eigenen Schlussfolgerungen (und nicht im Modus der Predigt) in der Öffentlichkeit sprechen. Auch hierfür ist Jürgen Ziewe meiner Meinung nach ein gutes, prominentes Beispiel. Aber es gibt neben ihm auch hier einige Beispiele von weniger bekannten Menschen, die bei der Erforschung ihres Bewusstseins ebenso im Sinne wissenschaftlicher Methodik und Redlichkeit vorgehen, wenn man den Erlebnisberichten beispielsweise aus Klartraumforen Glauben schenken darf. Daher meine ich hier mit „von wissenschaftlicher Seite“ jene Wissenschaft, die von der breiten Gesellschaft gegenwärtig als solche anerkannt wird.

Sind Wahrnehmung, Gedanken und Gefühle berechenbar?

Dieser Text schließt an den Beitrag „Der Erfolg der Mathematik als Beweis der Wesensverwandtschaft von Geist und Materie“ an und ist – mit dem Format entsprechenden Abwandlungen – ein Auszug aus meinem Buch „Phänometrie. Ist Bewusstsein mathematisch greifbar?

Angewandt auf phänomenales Erleben scheinen Maßeinheiten wie Größe, Masse, Ladung etc., welche wir zur Beschreibung des objektiven Aspekts der Wirklichkeit anwenden, zunächst keinen Sinn zu ergeben. In welchen Einheiten sollte also solch ein Unterfangen gefasst werden? Es ist war so, dass wir in unserem Erlebensstrom Dinge mit Eigenschaften wie Größe, Masse, Ladung etc. erleben – es gibt also eine Korrelation – aber man kann wohl nicht sinnvoll davon sprechen, dass zum Beispiel mein Erleben von Freude 12 Zentimeter lang und 13 Kilogramm schwer ist oder dass Erlebnis A und Erlebnis B einander abstoßen, weil beide positiv geladen sind. Dennoch hat auch phänomenales Erleben voneinander unterscheidbare Aspekte und damit relationalen Charakter, wie in Goffs Zitat deutlich wird: Erlebnisse lassen sich sinnvoll sowohl mit anderen Erlebnissen als auch mit erlebten Objekten in Bezug setzen, sie beziehen sich immer auf etwas oder aufeinander. Und wie bei kausalen Vorgängen der physischen Welt spielt auch bei Erlebnissen die Zeit eine fundamentale Rolle: Es existiert eine Abfolge und Entwicklung entlang des Zeitpfeils.
Auch ist die eben genannte Korrelation keineswegs trivial: Es ja überhaupt erst das Erleben selbst, welches uns Wirklichkeit und damit auch deren objektiven Aspekt als solchen identifizieren lässt. So ist es unser Erleben und unsere daraus resultierende Deutung des Verhaltens zweier Protonen (freilich ist es hier aufgrund deren geringer Größe ein indirektes Erleben durch experimentelle Vorrichtungen, die uns die Vorgänge des Allerkleinsten ins Reich des für uns sinnlich Wahrnehm-baren übersetzen), welches uns die Aussagen „haben die gleiche Ladung, stoßen einander ab“ treffen lässt – oder eben dass eine Kaffeetasse 10 Zentimeter hoch ist, eine Wanddicke von ca. 5 Millimetern und einen Durchmesser von 8 Zentimetern hat, aus Porzellan besteht und 100 Gramm wiegt. Wir erleben die Kaffeetasse sinnlich und entnehmen diesen sinnlichen Wahrnehmungen mithilfe von Messgeräten – deren Messungen wir ebenfalls sinnlich wahrnehmen und aufgrund der Kombination von der Beschaffenheit unseres sinnlichen Wahrnehmungsapparats und unseres logischen Denk- sowie Erkenntnisvermögens dementsprechend konstruiert haben – Aussagen über die objektiven Eigenschaften dieser Kaffeetasse. Auch der Akt der Formulierung mathematischer Theorien hat die Fähigkeit zu erleben zur Voraussetzung – sei es das Erleben, wie wir die entsprechenden Gedanken erdenken oder das Erleben der Zeichen, in denen wir die Theorie niederschreiben. Wir haben noch kein einziges Mal eine völlig bewusstseinsunabhängige Realität feststellen können und werden das auch niemals können, denn eine solche Feststellung würde uns, also bewusste Individuen, voraussetzen. Wir leben also wie der Fisch im Wasser selbstverständlich mit der Tatsache, dass es erst unser Erleben ist, das uns die Welt überhaupt als solche erschließt, das uns überhaupt eine Feststellung wie „ist objektiv gegeben“ ermöglicht. Sowohl objektive also auch subjektive Fakten sind vollständig bewusstseinsimmanent und es gibt eine Korrelation zwischen ihnen. Es ist zwar ebenso problematisch, einen naiven Solipsismus oder einen naiven subjektiven Idealismus anzunehmen und diese Ansichten folgen auch nicht aus dieser Erkenntnis – doch weil wir eben auch noch nie einen Beweis für eine bewusstseinsunabhängige Außenwelt haben sammeln können und das auch nie können werden, ist der Glauben an eine gänzlich bewusstseinsunabhängige Außenwelt nichts anderes als eine unbeweisbare Überzeugung. Mehr als diese Feststellung ohne weitere Schlussfolgerungen ist vorerst nicht nötig. Es ist auch nicht nötig, dies anzunehmen, um die Gültigkeit der Mathematik und der auf ihr basierenden Naturwissenschaften anzuerkennen – im Gegenteil, denn wir betreiben Mathematik kraft unseres Bewusstseins. Ihre Gültigkeit beruht geradezu auf der Annahme, dass es eine Korrelation zwischen unserem Bewusstseinsstrom und der Wirklichkeit da draußen gibt. Wir erleben die Welt da draußen und wenden erfolgreich Mathematik auf sie an. Wir erleben ihre Qualia und wir erleben im selben Erlebensstrom Gefühle und Gedanken, die ebenso wie die anderen Erlebnisse eine spezifische Abfolge haben und eine Entwicklung entlang des Zeitpfeils durchmachen. Das alles sind Gründe, sie als mathematisch fassbar anzusehen.

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