Wer bin ich? Was ist die Welt? Was ist Sinn?

Kategorie: Philosophie der Physik

Mein Gespräch bei Thanatos TV

Im August 2022 sprach ich mit Jennifer Nejo für Thanatos TV zu meiner philosophischen Arbeit. Die Hauptthemen des Gesprächs waren das Ich, der ontologische Status von Sinn (Ist Sinn real?) sowie die Realität von Nahtod- und anderen spirituellen Erfahrungen. Zu der Zusammenarbeit kam es, weil ich 2020 den Gründer und Betreiber von Thanatos TV, Werner Huemer, im Zuge der Recherche für meine Bachelorarbeit kontaktiert hatte. Er bat mich, ihm meine fertige Bachelorarbeit zuzusenden. Nachdem er sie gelesen hatte, fragte er mich, ob ich mir vorstellen könnte, ihm ein Interview dazu zu geben. Ich verneinte dies zunächst, weil ich mich noch nicht firm genug in meiner eigenen Position fühlte, aber wir verblieben so, dass ich mich melden würde, wenn es so weit sei. Er vermittelte mir 2021 auch den Kontakt zu Jennifer Nejo, mit der mich seitdem ein wunderbarer, außergewöhnlich inspirierender Austausch verbindet. 2022 schließlich, als die erste Fassung meines Essays und damit meine philosophische Position auf ausreichend stabilen Beinen für eine öffentliche Präsentation stand, war es so weit und wir verabredeten uns für ein Gespräch im Thanatos TV Studio. Das Ergebnis sehen Sie hier.

Es war sowohl mein erstes Interview zu meiner Arbeit als auch vor der Kamera und ich war reichlich aufgeregt, daher finden sich in dem, was ich sage, zwei Flüchtigkeitsfehler. Nobody’s perfect, es ist nur blöderweise so, dass sie den Sinn des Gemeinten ad absurdum führen. Deswegen möchte ich hier die entsprechenden Aussagen richtigstellen.

  1. Ich spreche bei Minute 11 darüber, dass ein verschränktes Teilchen sich in einer 14 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie befinden kann, „kurz nach Beginn des Urknalls, kurz nach Stattfinden des Urknalls lokalisiert“ und das ist schlicht in der Aufregung durcheinander geratener Nonsens. Woran ich da gedacht habe und was ich da reingemischt habe, war, dass das älteste Licht, was uns erreichen kann, vor 14 Milliarden Lichtjahren gestartet ist, eben kurz nach Beginn des Urknalls, und dass die Objekte, von denen dieses Licht ausgeht, die am weitesten entfernten Objekte sind, die wir beobachten können. Aber in meinem Argument soll ja das verschränkte Partnerteilchen genau im selben Moment in einer 14 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie sein, weil ich darauf hinaus will, dass trotzdem in genau demselben Moment, wo der Spin des einen Teilchens auf der Erde klar wird, der Spin des 14 Milliarden Lichtjahre entfernten Teilchens ebenso feststeht. Nur sagen tue ich das leider nicht, sondern ich sage es so, als wäre das andere Teilchen auch 14 Milliarden Jahre entfernt, also als läge es in der Vergangenheit. Dabei geht der springende Punkt der Sache verloren.
  2. In Minute 17 sage ich in Bezug auf die Aussagen „eins plus eins ist zwei“ und „eins plus eins ist drei“, die ich Frau Nejo und mir in den Mund lege: „Sie hätten nichts anderes sagen können als ich.“ Das Wörtchen „als“ ist falsch und irreführend, richtig wäre: „Sie hätten nichts anderes sagen können und ich auch nicht – denn wäre ein Determinismus der Fall, hätten weder Sie noch ich die denkerische oder erkenntnismäßige Freiheit gehabt, zu einem anderen Ergebnis zu kommen, weil jedes Glied in dieser Ereigniskette mit logischer Notwendigkeit so und nur so ablaufen könnte.“

So, nun, da dies klargestellt ist, wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Anschauen!

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Ein Zwiebelschalen-Universum

Dieser Beitrag schließt an an den Beitrag „Was uns Nahtoderlebnisse über die Beschaffenheit der Wirklichkeit verraten“ und ist – mit geringen Abwandlungen – ein Auszug aus meinem Buch „Phänometrie. Ist Bewusstsein mathematisch fassbar?“

Dieses Isolierter-Raum-Szenario könnte meines Erachtens tatsächlich nah an der Wirklichkeit sein: Phänomene wie Nahtoderfahrungen, Astralreisen und andere außerkörperliche Erfahrungen sind anthropologische Konstanten. Sie treten kultur- und zeitübergreifend auf und beinhalten allesamt die Erfahrung einer oftmals als weitaus realer wahrgenommenen Wirklichkeit jenseits der irdischen Realität. Es ist extrem unwahrscheinlich bis ausgeschlossen, dass diese Erfahrungen auf Gehirnzustände oder andere körpergebundene Faktoren zurückzuführen sind, da sie, wie oben beschrieben, auch auftreten, wenn der Körper einer Person hirntot ist. Sie müssten also von einer noch unbekannten und bis dato nicht messbaren Körperfunktion herrühren, wenn sie einen körperlichen Ursprung haben sollen. Ich halte diese Hypothese für unplausibel, auch weil es immer wieder vorkommt, dass Nahtoderfahrene nach ihrem Erlebnis von Dingen berichten, die sich während ihrer Bewusstlosigkeit zugetragen haben und sich der Inhalt dieser Berichte durch Dritte bestätigen lässt. Der Nahtodforschung ist inzwischen eine gehörige Menge von Berichten über genau dieses Phänomen bekannt. Wenn man nicht annehmen möchte, dass all jene Menschen, die von ähnlichen Phänomenen über alle Zeiten und Orte hinweg berichtet haben, lügen oder nachträglich halluzinieren1, muss man sich schon fragen, wo sich denn diese Erlebnisse abspielen.
Hier kommt die Idee eines mehrschichtigen Universums ins Spiel. Diese ist freilich nicht neu. So ist bereits in verschiedenen Schriften aus dem hinduistischen Religionskomplex von den lokas die Rede, verschiedenen Welten, in denen unsere Welt lediglich eine von vielen ist. Je nach Quelle werden drei, sieben, acht oder gar vierzehn Lokas unterschieden. Auch die Buddhisten kennen sechs verschiedene Daseinsbereiche. Die Kelten nahmen eine Anderswelt an, indigene Völker auf der ganzen Erde schicken ihre Heiler und Heilerinnen in eine wie auch immer vorgestellte Geisterwelt, um die dort angenommenen Ursachen von Krankheiten aufzuspüren und durch Interaktion mit dort ansässigen Wesen oder der Seele des Betroffenen die Gesundung herbeizuführen. Ohne nun auf die Konzepte und ihre Plausibilität im Einzelnen eingehen zu wollen, will ich an dieser Stelle kons-tatieren, dass die Annahme anderer Welten jenseits der unseren ebenso eine anthropologische Konstante ist, ebenso wie die Erfahrungsberichte von Menschen, die für sich in Anspruch nehmen, sich in welcher Form auch immer in einer anderen Welt aufgehalten zu haben oder in Abwesenheit jeglicher dafür relevanter Körperfunktionen sinnliche Wahrnehmungen von Geschehnissen in „unserer“ Welt gehabt zu haben, weil sie sich mit einem anderen, irgendwie feineren Körper außerhalb ihres menschlichen Körpers wiederfanden. Es wird mit wachsendem Kenntnisstand immer unplausibler, diese Phänomene als bloße Halluzinationen oder irrationalen Glauben weg-zuerklären oder sie gar gänzlich zu ignorieren. Die bisher gesammelte Beweislast drängt uns zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit ihnen. Freilich ist es angesichts ihrer ebenso offensicht-lich vorhandenen empirischen Evidenz ebenso unplausibel, unsere bisherigen naturwissenschaft-lichen Erkenntnisse über den Haufen zu werfen und wieder zu einem rein mythologischen Weltbild zurückzukehren. Daher scheint für mich der vernünftigste Umgang damit zu sein, nach einem Weg zu suchen, der die oben genannten Phänomene in Einklang mit unserem derzeitigen naturwissen-schaftlichen Erkenntnisstand bringt, ohne auf der einen Seite die objektive Realität der Phänomene zu leugnen oder auf der anderen Seite unser naturwissenschaftliches Weltbild mit seiner logischen Strenge aufzugeben. Mit anderen Worten: Wir brauchen kein Entweder-Oder-Weltbild, sondern ein Sowohl-Als-Auch-Weltbild.
Darüber, wie dieses Sowohl-Als-Auch aussehen könnte, habe ich mir auch schon einige Gedanken gemacht. So bin ich auf folgende Idee gekommen, die mir bisher am plausibelsten erscheint: Möglicherweise besteht das Universum aus mehreren Schichten, von denen jede Schicht eine andere Basiskonfiguration auf der Planck-Skala hat. Die Planck-Skala beschreibt die Ebene der kleinstmöglichen Einheiten, in denen physikalische Vorgänge stattfinden können. Sie sind die Grenze der Anwendbarkeit der physikalischen Gesetze und ergeben sich aus den Werten der Naturkonstanten wie der Gravitationskonstante, dem Planckschen Wirkungsquantum und der Lichtgeschwindigkeit. Zum Beispiel markiert die Planck-Zeit die kleinstmögliche Zeiteinheit, für die die uns bekannten physikalischen Gesetze gültig sind. Ihr Wert beträgt ca. 5.391247(60) x 10-44 Sekunden. Sie sehr, sehr kurz zu nennen, wäre also eine gnadenlose Untertreibung. Doch vielleicht haben die Naturkonstanten in einer etwaigen weiteren Schicht des Universums andere Werte. Wenn dort deswegen nun der Wert der Planck-Zeit nur ein wenig kleiner wäre und dementsprechend auch alle anderen Planck-Einheiten, könnten diese Schichten dann nicht wie „ineinander“ existieren, ohne dass sie sich in die Quere kämen, ohne dass die schneller schwingenden Schichten für die jeweils langsamer schwingenden Schichten physikalisch nachweisbar wären, weil wir durch die Werte unserer Naturkonstanten die dafür erforderliche Stärke der Auflösung (um in einer Metapher der digitalen Fotografie zu sprechen) nicht erreichen könnten? Könnten nicht Gefühle und Gedanken in einer solchen Schicht oder mehrerer dieser Schichten ihren Ursprung haben und dort als Entität mit objektiv wahrnehmbarer Außenseite beheimatet sein? Möglicherweise haben sie eine charakteristische Geometrie bzw. Topologie, ein charakteristisches Schwingungsmuster, eine charakteristische Progression in der Zeit, einen charakteristischen Wirkzusammenhang mit anderen Gedanken bzw. Gefühlen. So wie physikalische Entitäten dieser Wirklichkeitsebene miteinander interagieren können, so können es möglicherweise auch die Gefühl- und Gedankenentitäten. Diese wahrnehmbare Außenseite müsste allerdings auch unserem Leib zugehörig sein, wenn wir doch diejenigen sind, die sie von innen wahrnehmen. Es würde bedeuten, dass wir auch in jener Schicht respektive jenen Schichten leiblich anwesend sind. Der Leib der anderen Ebenen müsste dabei nicht notwendig dieselbe Form aufweisen wie unser diesseitiger Leib. Doch wenn wir auch in diesen Schichten leiblich anwesend sind, würde sich natürlich die Frage stellen, warum wir zumindest ihren innerlichen Aspekt auch hier auf dieser Ebene wahrnehmen beziehungsweise warum wir nur ihren innerlichen Aspekt wahrnehmen, nicht aber von außen auf sie schauen können (abgesehen von jenem Teil, der auch in dieser Schicht in Form von Gehirnströmen und anderen physiologischen Messwerten zu sehen ist), so wie wir ja auch von außen auf unseren normalen Leib schauen können. Eine naheliegende Antwort wäre anzunehmen, dass der Leib der anderen Schicht(en) keine Sinnes-organe aufweist und dementsprechend dort keine Augen vorhanden sind, die einen solchen Leib erblicken könnten. Es könnte sich aber auch anders verhalten und auch hier könnte das Ich wieder die Antwort sein. Als Singularität befindet es sich jenseits der Raumzeit und jenseits der Materie und ist daher auch nicht an eine einzige Ebene gebunden. Es müsste daher auch, sollten diese weiteren Schichten existieren und sollten dort ebenso Aspekte unserer Leiblichkeit existieren, auf die anderen Schichten zugreifen können. Es ist möglicherweise lediglich eine Frage der Konzentration und der Gewohnheit, mit welchen Aspekten der eigenen Leiblichkeit man sich identifiziert oder welche Schichten man wahrnimmt – und demnach auch, in welcher Welt man sich bewegt. Mystische Erfahrungen wie Nahtoderfahrungen oder Visionen nach Genuss von psychoaktiven Substanzen könnten dadurch zustandekommen, dass sie irgendwie eine Verschie-bung der Konzentration bewirken bzw. einen aus den eingefahrenen Gewohnheiten herauslösen und wir durch die Singularität unseres Ich instantan in eine andere Wirklichkeitsebene „reisen“ – oder durch eine Erweiterung unserer Konzentrationsfähigkeit gar mehrere Ebenen gleichzeitig wahrnehmen. Auch das obige Zitat aus der Studie über Nahtoderlebnisse beschreibt eine fortdauernde sinnliche Wahrnehmung der Personen nach dem Hirntod. Auch in Abwesenheit der Funktion unserer physischen Sinnesorgane sind uns ganz offenbar sinnliche Wahrnehmungen möglich. Möglicherweise könnten sich auch Träume auf einer dieser Ebenen abspielen – wobei es ja zuallermeist so zu sein scheint, dass die Wesen, denen wir im Traum begegnen, nicht real im Sinne eines echten Wesens mit je eigenem Ich sind, sondern es sind von uns selbst imaginierte Traumfiguren. Ein Traum scheint meist eher so etwas wie eine exklusive „Privatrealität“ zu sein. Dennoch würden wir in dieser Richtung vielleicht Erklärungen dafür finden, in welchem Raum Träume sich abspielen – diese Frage warf ich ja im Beitrag „Res extensa: Wissen wir wirklich, was Ausdehnung ist?“ bereits auf.
Ein solches Zwiebelschalen-Modell des Universums wäre auch ein plausibler Erklärungsansatz für andere grenzüberschreitende Phänomene wie mediale Kontakte mit Verstorbenen, die in der oben bereits erwähnten EREAMS-Studie prospektiv empirisch untersucht wurden, was äußerst starke Belege für die Authentizität der dort untersuchten Kontakte zutage förderte. Der Tod wäre, sollten sich die obigen Überlegungen als zutreffend erweisen, mithin nichts anderes als die Verschiebung der Konzentration auf die „höheren“ Aspekte der eigenen Leiblichkeit, während die Konzentration auf diejenige Materie, deren Einwohner man auf der Erde für die letzten Jahre war, dauerhaft aufgegeben wird, wodurch sie wieder frei wird für eine Neuorganisation durch andere Entitäten. Der Umstand, dass der diesseitige Körper einiger buddhistischer Mönche, die Meisterschaft in der Meditation erreichten, noch viele Jahre nach ihrem diesseitigen Ableben nicht verwest, ließe sich dann dadurch erklären, dass es ihnen durch ihre errungene Meisterschaft in der Meditation gelingt, die Konzentration und damit ihren Einfluss auf den diesseitigen Leib noch Jahre nach ihrem Fortgang aufrecht zu erhalten. Interessant hierzu ist, sich bewusst zu machen, wie Meditation in den traditionellen östlichen Schriften wie z.B. den altindischen Upanishaden oder dem buddhistischen Visuddhimagga gelehrt wird: Dort gilt als Meditation im Wesentlichen das Schulen und Schärfen der Konzentration, genauer gesagt das einpünktige (Stichwort Singularität!) Fokussieren der Aufmerksamkeit entweder auf ein Meditationsobjekt oder auf eine Körperstelle, sodass man schlussendlich in einen Zustand vollkommener Verstandesstille gelangt.
Ein Beispiel für solch einen Meister der Meditation, dessen Körper nicht verwest und offenbar auch Lebensäußerungen zeigt, obwohl er nicht im herkömmlichen Sinne lebendig ist, ist der buddhistische Mönch Dashi Dorjo Itigilow. Am 04.07.2007 wurde dieser Fall vom Online-Magazin „Spektrum.de“ unter dem Titel „Toter Mönch verwest nicht“ thematisiert. Es gibt noch einige weitere Beispiele nicht verwesender buddhistischer Mönche, aber auch von insbesondere Heiligen anderer Kulturkreise, deren Körper nicht verwesen, wie z.B. die katholischen Heiligen Bernadette Soubirous oder Teresa von Ávila. Während sich manche Fälle von Unverweslichkeit durch den heutigen Stand der Wissenschaft vollkommen hinreichend erklären lassen, ist es bei den oben namentlich genannten und auch einigen anderen Fällen nicht möglich, dies mithilfe unseres heutigen Wissensstandes zu erklären.

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1 Auch der Begriff „Halluzination“ birgt Diskussionspotential, denn man kann, wie es zum Beispiel der Neurologe Prof. Dr. Wilfried Kuhn tut, infrage stellen, inwieweit die Verknüpfung „Halluzination = irreal“ tatsächlich gültig ist.

Was verraten uns Nahtoderlebnisse über die Beschaffenheit der Wirklichkeit?

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus meinem Buch „Phänometrie. Ist Bewusstsein mathematisch fassbar?“ schließt an an eine Passage im Buch, in der ich postuliere, dass Materie immer sowohl einen physischen als auch einen psychischen Aspekt hat, dass diese zwei Seiten derselben Medaille (also co-extensiv) sind und dass es demnach so etwas wie eine erlebnis- und bewusstseinsunabhängige Materie nicht gibt. Ich vertrete damit eine panpsychistische Position. Während ich im Buch ausführlich darlege, warum ich dies annehme, belasse ich es hier bei dem Postulat, im Bewusstsein, dass das natürlich eine steile These ist.

Wir könnten nun annehmen, dass wir mit den korrelierenden Gehirn- und Körperzuständen schon die Außenseite von Gefühlen und Gedanken vollständig erkannt haben. Zunächst scheint es keinen Grund zu geben, eine darüber hinaus gehende, bis dato unerkannte objektive Seite von Gefühlen und Gedanken anzunehmen. Die empirische Nahtodforschung liefert jedoch starke Indizien dafür, dass Gehirn- und andere Körperzustände allein nicht den vollständigen objektiven Aspekt der Gedanken und Gefühle bilden können. Deren Studienergebnisse legen ein kontinuierliches phänomenales Erleben auch außerhalb des Körpers und unabhängig vom Gehirn nahe, wie sich am Beispiel einiger Fälle klaren Bewusstseins trotz des medizinisch festgestellten Hirntods nachweisen ließ:

„From these studies we know that in our prospective study as well as in the other studies of patients who have been clinically dead (VF on the ECG), total lack of electric activity of the cortex of the brain (flat EEG) must have been the only possibility, but also the abolition of brainstem activity […] is a clinical finding in those patients. However, patients with an NDE can report a clear consciousness, in which cognitive functioning, emotion, sense of identity, and memory from early childhood was possible, as well as perception from a position out and above their “dead” body.“

Van Lommel, Pim: About the Continuity of Our Consciousness, In: Brain Death and Disorders of Consciousness. Machado, C. and Shewmon, D.A., Eds. New York, Boston, Dordrecht, London, Moscow: Kluwer Academic/ Plenum Publishers, Advances in Experimental Medicine and Biology Adv Exp Med Biol. 2004; 550: 115-132; S. 7

Eine kurze Anmerkung zum Status der empirischen Nahtodforschung in der Wissenschaft: Die empirische Nahtodforschung hat im wissenschaftlichen Diskurs derzeit ein Außenseiterdasein inne. Ihr Außenseiterdasein ist meines Erachtens eher auf ideologische als auf fachliche Gründe zurück-zuführen. Innerhalb der reduktionstisch-physikalistisch geprägten Wissenschaftsgemeinde treffen alternative Hypothesen zur Frage, was Bewusstsein ist, auf Voreingenommenheit. Zum einen liegt dies sicher daran, dass die Nahtodforschung und ihr Postulat eines überdauernden, immateriellen Bewusstseins dem derzeit dominanten physikalistischen Paradigma widersprechen. Zum anderen vermute ich, dass ihre Forschungsergebnisse – unberechtigterweise – Befürchtungen aufrufen, dass man durch ihre Anerkennung in einen vormodernen religiösen Glauben zurückfallen und damit die Säulen der (post)modernen Gesellschaftsordnung untergraben könnte. So ist eine Begegnung mit Lichtwesen oder auch mit Gott respektive einer göttlichen Kraft ein immer wiederkehrendes Element in Nahtoderfahrungen. Mit Gott aber wird in den durch die abrahamitischen Religionen geprägten Ländern auch immer die Existenz der Hölle und der ewigen Verdammnis von Sündern verbunden, die von Gott höchstpersönlich in die Hölle verbannt werden – potentiell für verschie-denste auch kleine Vergehen, die zu vermeiden für gewöhnliche Menschen nahezu unmöglich ist. Ebenso wird mit Gott durch die Lehren der institutionalisierten Religionen eine Leib- und Sexualfeindlichkeit verbunden sowie die strenge Unterordnung der Frau unter ihren Ehemann, dem sie als von ihm abkünftiges Wesen zu Gehorsam und Dienst verpflichtet ist. All dies und andere Grausamkeiten wie die gnadenlose Bestrafung von sogenannten Heiden oder die Behandlung von heidnischen Frauen als recht- und seelenlose Objekte sexueller Lustbefriedigung (rechtgläubige Frauen sind aufgrund ihres sündigen Geschlechts rechtlich freilich auch nicht so viel besser gestellt, werden aber wenigstens als beseelte Menschen angesehen und können auf den Lohn Gottes nach erfolgter Hingabe in ihre gottgegebene Stellung unterhalb des Mannes hoffen), die Gott laut Bibel, Thora oder Koran gutheißt und zu denen er die Menschen anstiftet, sind Aspekte, von denen man sich in einem rationalen Weltbild nur allzu gerne verabschiedet hat. Doch bestätigen Nahtoderlebnisse diese furchtbaren Dogmen und angeblichen Charakterzüge Gottes nicht!1 Im Gegenteil sind die meisten Nahtoderfahrenen nach ihrem Erlebnis zwar spiritueller und gläubiger als noch vor ihrem Erlebnis, wenden sich aber oft von institutionalisierten Religionen ab.Die Nahtodforschung steht nicht im Widerspruch zu bisherigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern erweitert sie lediglich. In der hier zitierten Studie, die selbstverständlich offen einzusehen ist, finde ich weder methodische Fehler noch unzulässige Interpretationen der gewonnenen Daten, die es plausibel machen würden, ihre Legitimität grundsätzlich in Zweifel zu ziehen. Ebenso kann ich keine religiösen Postulate oder gar Forderungen feststellen, ein bestimmtes Glaubenssystem unhinterfragt zu übernehmen. Es werden lediglich die empirisch gewonnenen Daten auf rational nachvollziehbare Weise interpretiert. Die nach Meinung des Autoren und auch in meinen Augen wahrscheinlichste Hypothese, die sich daraus ergibt, ist, dass das Bewusstsein einer Person nicht an den physischen Körper gebunden sein kann. Angenommen also, dass hier valide Ergebnisse ermittelt wurden, können Gehirnzustände unmöglich den vollständigen objektiven Aspekt von Gefühlen, Gedanken und Wahrnehmungen darstellen, wenn diese der Person auch während Phasen des Hirntodes erhalten bleiben. Um tiefer in eine Evaluierung der Beweiskraft von Nahtoderfahrungen und anderen außeralltäglichen Bewusstseinsphänomenen in Bezug auf ein Überleben des Bewusstseins nach dem Tode einzutauchen, empfehle ich den Essay „Climbing Mount Evidence“ von Dr. Michael Nahm und die EREAMS-Studie von Prof. Dr. Oliver Lazar, deren Ergebnisse er in seinem Buch „Jenseits von Materie“ zusammengefasst hat. Auch der schwedische Philosoph Jens Amberts argumentiert dafür, dass ein Leben nach dem Tode des physischen Körpers als „empirisch gesichert“ betrachtet werden kann. Er vergleicht dazu die Erlebnisse von Nahtoderfahrenen mit dem Szenario eines Raumes, welcher vollständig von der umgebenden Welt isoliert ist, sodass keinerlei Signal herauszudringen vermag und auch keinerlei Instrumente die Wände des Raumes überwinden könnten, um Informationen über die Gegebenheiten innerhalb des Raumes zu gewinnen. Von Zeit zu Zeit dürften aber ein paar Ausgewählte in diesen Raum gehen, ihn erforschen und anschließend über ihre Forschungsergebnisse berichten. Wenn nun die Berichte einer ausreichenden Anzahl von Menschen über die Gegebenheiten in diesem Raum miteinander übereinstimmen, wäre es vernünftig, wenn wir die dortigen Gegebenhei-ten als empirisch gesichert betrachten würden, selbst wenn diese sonderbar in dem Sinne wären, dass sie beispielsweise unserem aktuellen Verständnis der Naturgesetze widersprächen. In letzterem Falle bräuchte man eine noch höhere Anzahl von übereinstimmenden Berichten und idealerweise auch eine ausreichende Anzahl von entsprechenden Berichten sowohl von Menschen, die mit einer skeptischen Haltung in die Erforschung des Raumes gegangen seien als auch von Menschen, deren Bericht aufgrund ihrer besonderen fachlichen Qualifikation ein hohes Ausmaß an Verlässlichkeit habe. Sei dies gegeben, könne man auch dann die dortigen Gegebenheiten als empirisch gesichert annehmen. Genau dies, so Amberts, sei im Falle von Nahtoderfahrungen der Fall. Es gebe eine ausreichende Anzahl an übereinstimmenden verlässlichen Berichten und dass diese in der Wissen-schaft nicht im breiten Maßstab anerkannt würden, sei entweder das Resultat von Ignoranz, Irrationalität oder beidem.2

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1 Es gibt aber definitiv auch sogenannte Höllenerfahrungen, nur konnte ich in ihnen keine Hinweise darauf ausmachen, dass die Menschen durch Gott in die Hölle geworfen wurden bzw. dass eine externe Kraft ihnen dies als Strafe auferlegt. Viel eher scheint sich die Hypothese zu erhärten, dass sie durch ihren eigenen Bewusstseinszustand, ihre innere Haltung zur Welt und zu sich selbst oder auch infolge ihrer eigenen Taten in diese Bereiche gelangen. (In einem Artikel des Autors Benjamin Bruel mit dem Titel „Am Abgrund zur Hölle: die dunkle Seite von Nahtoderfahrungen“, welcher am 02.11.2016 online in der Zeitschrift „Vice“ erschien, sind entsprechende Erfahrungen und ihr Kontext zusammengefasst.) Bei Letzterem scheint zwar schon ein Tun-Ergehens-Zusammenhang vorzuliegen. Jedoch obliegt das Tun der Verantwortung des Handelnden und das darauf folgende Ergehen wird nicht durch Gott oder eine andere externe richtende Kraft initiiert. Es wird immer wieder die Erfahrung gemacht, dass man von Engeln, Heiligen oder religiösen Führerfiguren wie Jesus Christus aus den Höllenbereichen gerettet wird. Gott, Lichtwesen und Engel werden nicht als strafend oder wertend erlebt, sondern als bedingungslos liebend. Freilich berührt auch dies einige sensible Punkte der Theodizee-Problematik und grundsätzlich wird das Thema der Höllenerfahrungen viel zu wenig diskutiert. Es scheint mit großen Tabus belegt zu sein. Dennoch will ich es an dieser Stelle aufgrund der zu großen thematischen Abweichung nicht diskutieren.

2 Vgl. Amberts, J. (2022). Why an afterlife obviously exists: A thought experiment and realer than real near-death experiences, New Alresford, Hampshire: Iff Books

Das Ich als echte Singularität

Dieser Text schließt an den Beitrag „Res cogitans: Ist phänomenales Erleben ausgedehnt?“ an und ist – mit dem Format entsprechenden Abwandlungen – ein Auszug aus meinem Buch „Phänometrie. Ist Bewusstsein mathematisch greifbar?

Es gibt starke Gründe dafür, das personal einheitliche Ich-Empfinden im mathematischen Sinne als echte Singularität aufzufassen. Sowohl das Ich als auch echte Singularitäten weisen auffallende Parallelen auf: Beide sind absolut und irreduzibel und Rechenoperationen wie Division, Multiplikation, Addition oder Subtraktion sind nicht sinnvoll auf sie anwendbar. Bei den mathematischen Singularitäten sind sie nicht definiert, das Ich zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht teilbar (Division), reduzierbar (Subtraktion) oder mit anderen Ichs summierbar (Multiplikation und Addition) ist. Anderenfalls wäre die rede von einem Ich nicht mehr sinnvoll, da es sich dadurch auszeichnet, dass es fundamental mit sich und nur mit sich identisch ist.

Die Urknall-Singularität ist offensichtlich in der Lage, das Universum zu instantiieren. Unser Ich ist, wie gezeigt wurde, der fundamentale, unhinterschreitbare Bezugspunkt all unseren Welterlebens. Wir kommen nicht hinter unser Ich. Ist es damit nicht der geeignete Kandidat für eine Instantiierungsebene? Muss man möglicherweise einfach nur die Urknall-Theorie dahingehend erweitern, als dass die Singularität, die das Universum instantiiert, „ich“ zu sich „sagt“? Dann bräuchte es kein neues Konzept, nur eine Neuinterpretation des bereits Erkannten. Singularität und Ich sind einander so ähnlich, dass ich dazu tendiere.

Der Klarheit halber möchte ich auch Folgendes erwähnen, was etwas trivial klingt: Wir Menschen sind ganz offensichtlich keine schwarzen Löcher. Die echte Singularität des Ich scheint also nicht in der Form aufzutreten, dass eine Masseansammlung sich auf derart kleinem Raum zusammenballt, dass die Krümmung der Raumzeit an dieser Stelle einen unendlichen Wert annimmt. Im Gegenteil ist sie ja nicht als Resultat einer spezifischen Form der Masseansammlung zu betrachten (das war ja ein Kernpunkt meiner ganzen bisherigen Argumentation), sondern ist schon immer jenseits dessen. Allerdings gibt es auch begründete Zweifel an der Auffassung, dass eine lokale Masseansammlung die Krümmung der Raumzeit verursacht in dem Sinne, dass sie ihr vorausgeht. Fruchtbarer scheint es zu sein, Raumzeit-Krümmung und Masseansammlung simultan zu denken. Auch gibt es Grund zur Annahme, dass das Ich in irgendeiner Weise mit der Gravitation assoziiert ist. Beides führe ich in Kapitel 4.5. meines Buches aus. Mögliche Ansätze dafür, wie genau das Ich im Rahmen einer mathematischen Theorie (freilich nie wirklich einholbar, aber indirekt in Form einer echten Singularität) schematisch dargestellt werden kann, stelle ich in Kapitel 4.8. dar.

Wie können wir uns eine Welt vorstellen, deren Ursprung das Ich ist? Bin dann alles ich? Oder gibt es unendlich viele verschiedene Ichs, die alle gemeinsam die Welt instantiieren? Wir werden sehen, dass uns die Klarheit der Antwort auf diese Fragen ebenso wie Sand zwischen den Händen zerrinnt wie schon bei der Suche nach einer Definition von Ausdehnung und Nicht-Ausdehnung, von Absolutem und Relativem. Dies liegt am Wesen der Singularität, angesichts derer die zweiwertige Logik, also das Entweder-Oder, einfach zusammenbricht. Dennoch können wir, wenn wir gerade dieses Zerrinnen und In-eins-Fallen an den Grenzen unserer Wirklichkeit als gegeben akzeptieren, innerhalb dieser Grenzbedingungen neue Erkenntnisse von erstaunlicher Klarheit gewinnen – und feststellen, dass das Zusammenbrechen der zweiwertigen Logik gewissermaßen Alltag für uns alle ist.

Res cogitans: Ist phänomenales Erleben ausgedehnt?

Dieser Text schließt an den Beitrag „Res extensa: Wissen wir wirklich, was Ausdehnung ist?“ an und ist – mit dem Format entsprechenden Abwandlungen – ein Auszug aus meinem Buch „Phänometrie. Ist Bewusstsein mathematisch greifbar?

Ich möchte noch einmal darauf zurückkommen, warum ich glaube, dass das phänomenale Erleben auch als irgendwie dem Modus „ausgedehnt“ angehörig gesehen werden kann: Auch wenn das phänomenale Erleben selbst nicht sinnvoll in physikalischen Größen wie Größe, Masse, Ladung etc. erfasst werden kann, so bezieht es sich doch unmittelbar oder mittelbar auf etwas, das diese Dimensionen besitzt und/oder auf die Inhalte phänomenalen Erlebens eines anderen Subjekts. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen: Mein Erleben des Tisches vor mir ist nicht 80 Zentimeter breit, 40 Zentimeter tief und 60 Zentimeter hoch, wiegt nicht 5 Kilogramm und besteht nicht aus Holz, aber ich erlebe genau diese Attribute des Tisches ebenso wie seine Farbe, Haptik und andere sinnlich wahrnehmbare Eigenschaften. Allein deswegen bekommt mein Erleben schon relationalen Charakter, und zwar einen, der unmittelbar mit den physischen Eigenschaften des erlebten Objekts korreliert.* Mein Erlebnisraum und der physische Raum sind direkt aufeinander bezogen. Zumindest gehen wir davon aus, dass dem so ist, da wir sonst nicht sinnvoll sowohl empirische als auch theoretische Wissenschaft betreiben könnten. Diese basiert auf der Grundannahme, dass wir a) unseren Sinnesdaten insofern vertrauen können, als dass sie uns einen Eindruck zu vermitteln vermögen, der in irgendeiner Weise mit der Wirklichkeit korreliert und b) sich unsere Theorien sinnvoll auf diese anwenden lassen. Freilich will ich hier keinem naiven erkenntnistheoretischen Realismus das Wort reden, der annimmt, dass unsere Sinnesdaten uns immer wahre Eindrücke über die Wirklichkeit vermitteln und dass alles, was wir wahrnehmen, ein wahres Abbild der Wirklich-keit ist, aber derlei erkenntnistheoretische Fragen möchte ich in Kapitel 2 etwas näher beleuchten. Vorerst möchte ich es dabei belassen, worauf sich wohl sowohl erkenntnistheoretische Konstruk-tivistinnen als auch Realistinnen einigen können, weil diese Annahme Voraussetzung dafür ist, Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit als sinnvoll und gültig anerkennen zu können: Es gibt irgendeine Art von Korrelation zwischen Sinnesdaten und Wirklichkeit.
Eine Relationalität tritt auch beim Erleben der eigenen Gedanken und Gefühle auf, sowie beim Erleben der mitgeteilten oder mitgefühlten Gedanken und Gefühle einer anderen Person. Zum einen korrelieren die eigenen Gedanken und Gefühle immer auch mit körperlichen, also physikalischen Zuständen, z.B. des Gehirns, des Nervensystems, des Kreislaufs etc. (auch dieser These werden Konstruktivistinnen wie Realistinnen zustimmen), zum anderen beziehen sich Gedanken und Gefühle immer auf etwas oder auf jemanden, der diese Gedanken und Gefühle auslöst. Selbst wenn es nur Gedanken oder andere Gefühle, also reine Qualia waren, die das jetzige Gefühl auslösen, so beziehen sich diese Gefühle aufeinander, haben eine Relation zueinander; ergo können auch Qualia relativ sein. Ich glaube, dass es weiterführend sein könnte, genau aus diesen Gründen phänomenales Erleben als ausgedehnt zu betrachten – als eine Art „Erlebnisraum“, treffender noch eine „Erlebnis-raumzeit“: Phänomenales Erleben spielt sich immer in der Zeit ab, hat wechselnde Inhalte, ist immer ein Prozess, stellt immer eine Entwicklung dar. Das hat phänomenales Erleben mit dem physischen Aspekt der Wirklichkeit gemeinsam, der einen ebenso essentiellen temporalen und prozessualen Charakter aufweist.
Philip Goff wies im oben genannten Zitat darauf hin, dass es nötig sei, eine Instantiierungsebene für die physische Welt zu finden, deren kausale Struktur durch die Mathematik beschrieben werde. Bis hierhin dürfte deutlich geworden sein, dass wir mit dem phänomenalen Erleben an sich meines Erachtens nicht die gesuchte absolute Instanz gefunden haben, die eine geeignete Instantiierungs-ebene für die physische Welt ist. Viel mehr hat sich durch die obigen Überlegungen gezeigt, dass zusätzlich Bedarf für eine Instantiierungsebene des phänomenalen Erlebens besteht, und zwar, weil dies ebenso relational und prozessual ist wie die physischen Entitäten. In Anbetracht der weiter oben aufgezeigten offensichtlichen Wesensverwandtschaft von Physis und Psyche liegt es nahe, für sowohl den mentalen als auch den physischen Aspekt der Wirklichkeit eine gemeinsame Instantiierungsebene zu suchen.

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*Hier habe ich zur Verdeutlichung des Prinzips von sensorischen Täuschungen oder physischen Phänomenen jenseits der unmittelbaren Anschaulichkeit abgesehen, die zur korrekten Interpretation einen höheren mentalen Dekodierungsaufwand der durch die Sinne übermittelten Daten und/oder technische Hilfsmittel erfordern, um die Phänomene unseren Sinnen zugänglich zu machen. Auch Überzeugungen und emotionale Prägungen haben einen Einfluss auf die Weltwahrnehmung, und die sind bei jedem Menschen einzigartig. Dennoch kann man wohl mit Fug und Recht sagen, dass die Wahrnehmung der physischen Merkmale eines Tisches, einer Tasse, einer Straße oder einer Landschaft nicht derart dadurch beeinflusst wird, dass der eine Mensch einen Tisch beispielsweise als rund und der andere Mensch denselben Tisch als eckig wahrnimmt. Je nach individueller Prägung und Gemütslage wird man einen anderen Wahrnehmungs-fokus haben und dementsprechend werden die einen Menschen etwas wahrnehmen, was die anderen Menschen ausblenden und umgekehrt. Aber ich glaube, wir können davon ausgehen, dass bei entsprechender Lenkung der Aufmerksamkeit auf die ausgeblendeten Objekte alle Menschen unabhängig von ihrer Prägung und Gemütslage die physischen Merkmale eines Objekts identisch wahrnehmen, denn wir alle können uns intersubjektiv über beispielsweise Form, Farbe und Gewicht eines Objekts einig werden, selbst wenn wir zunächst unterschiedliche Terminologien benutzen würden. Es mag auch da Extremfälle, also Menschen mit extrem abweichender Wahrnehmung geben. Dennoch denke ich, dass wir uns zumindest im Mittel mit sehr großer Sicherheit auf die Zuverlässigkeit oder viel mehr die prinzipielle intersubjektive Übereinstimmung unserer Sinneswahrnehmungen verlassen können, wenn es um die Wahrnehmung von physischen Objekten geht.

Res extensa: Wissen wir wirklich, was Ausdehnung ist?

Dieser Text schließt an den Beitrag „Absolute Naturen in der Mathematik und Physik: Echte Singularitäten“ an und ist – mit dem Format entsprechenden Abwandlungen – ein Auszug aus meinem Buch „Phänometrie. Ist Bewusstsein mathematisch greifbar?

Es gibt Anlass, das normalerweise implizit und unhinterfragt vorausgesetzte Postulat des kategorischen Unterschieds zwischen Ausgedehntsein und Nichtausgedehntsein zu hinterfragen. Die Urknall-Theorie basiert auf dem Postulat, dass aus etwas Nichtausgedehntem etwas Ausgedehntes entstehen kann. So ist das Universum laut kosmologischem Standardmodell aus einer Singularität entstanden. Wie soll man sich das vorstellen? Wie kann etwas Nichtausgedehntes etwas Ausgedehntes hervorbringen? Wenn man sich vergegenwärtigt, dass genau dies die gegenwärtig bevorzugte, weil empirisch außerordentlich gut belegte Theorie ist, kommt man nicht umher, in Betracht zu ziehen, dass aus „nicht ausgedehnt“ tatsächlich „ausgedehnt“ werden kann – auch für den umgekehrten Fall: aus vormals in Zeit und Raum ausgedehnter Materie wird, wenn Einstein Recht behält, unter entsprechenden Voraussetzungen eine nichtausgedehnte Singularität jenseits von Zeit und Raum im Zentrum eines Schwarzen Lochs. Das Gleiche trifft auf die Quantenfeldtheorien zu: Die Elementarteilchen werden dort als nichtausgedehnt, also punktförmig betrachtet. Auch experimentell konnte ihnen bisher kein von Null verschiedener Durchmesser nachgewiesen werden. Dennoch sind es genau diese „nichtausgedehnten“ Entitäten, aus denen unsere „ausgedehnte“ Wirklichkeit besteht. Für viele Physiker und Physikerinnen ist genau dies der Grund anzunehmen, dass Singularitäten das Anzeichen dafür sind, dass an dieser Stelle die Theorie zusammenbricht, also dass sie das ungültige Ergebnis einer an dieser Stelle nicht mehr anwendbaren Theorie sind.* Doch in Anbetracht dessen, dass all jene oben benannten Theorien in so vielen Aspekten so außerordentlich gut experimentell bestätigt sind, so viele höchst präzise Vorhersagen gemacht haben und es bisher keine vergleichbar explanatorisch starken Alternativen gibt, bin ich geneigt, ein Versagen auch an dieser Stelle nicht anzunehmen. Eher nehme ich an, dass es Gründe gibt, echte Singularitäten als notwendiges und wesentliches Element einer etwaigen Theory of Everything zu betrachten, doch darauf komme ich später zurück. Hier sei erst einmal mit ein wenig Vorschussvertrauen die Übereinstimmung der durch die oben genannten Theorien postulierten Singularitäten mit der Realität angenommen.** Vor diesem Hintergrund beginnt der Begriff des Ausgedehntseins seine vermeintliche Klarheit und seine Abgrenzung zum Nichtausgedehntsein zu verlieren: Was ist Ausgedehntsein, wenn es im Nichtausgedehntsein gegründet ist und auch wieder – siehe Schwarze Löcher – zu einem solchen werden kann? Was ist überhaupt Nichtausgedehntsein? Kann man plausibel von Nichtausgedehntsein sprechen, wenn der Begriff „Dimension“ in einer punktförmigen Singularität schlicht nicht definierbar ist? Von „außen“ betrachtet scheint die Singularität ein Punkt zu sein, also keinerlei Ausdehnung zu haben, aber wir dürfen, wenn wir das Zusammenbrechen logischer Kategorien angesichts der Singularität wirklich ernst nehmen, dennoch nicht davon ausgehen, dass wir sie dadurch eindeutig im Sinne einer definierten Dimensionsangabe charakterisiert haben. Das Prädikat „Nichtausgedehntsein“ wäre definiert insofern, als dass der nichtausgedehnten Entität der klar bestimmbare Zustand des Nichtausgedehntseins zukommt (im Sinne des Prinzips der logischen Zweiwertigkeit). Doch es ist ja gerade die schlechthinnige Undefinierbarkeit der Singularität, die sie als solche auszeichnet. Kann man in letzter Konsequenz also wirklich noch von einem wesensmäßigen Unterschied zwischen den beiden Zuständen sprechen? Oder ergibt es angesichts dessen nicht eher Sinn, diese Zustände als zwei Aspekte oder zwei Modi ein- und derselben Entität anzusehen? Der Wechsel zwischen diesen Zuständen scheint jedenfalls, wenn Einstein Recht hat, ein reguläres Ereignis im Naturgeschehen zu sein.
Folgende Frage kann die Unbestimmtheit des Unterschiedes zwischen Ausgedehntsein und Nichtausgedehntsein weiter verdeutlichen: Ist ein Traum ausgedehnt? Also glauben wir, dass das nächtliche Traumerleben in einem außerhalb des eigenen Bewusstseins existierenden dreidimensionalen Raum stattfindet? Ich glaube nicht. Kann man sich im Traum dennoch im Raum bewegen, also hat man Freiheitsgrade der Bewegung? Ja, die hat man, und das kann vollkommen realistisch erlebt werden, obwohl wir uns meines Erachtens sicher sein können, dass der Traum nicht in diesem unseren „real ausgedehnten“ Raum stattfindet, den wir aus der Wachwelt kennen und den wir als Wirklichkeit bezeichnen, sondern dass seine Ausdehnung zumindest in Bezug auf die intersubjektiv zugängliche Wirklichkeit der Wachwelt „imaginär“ ist. Allerdings trifft die Unterscheidung real und imaginär auch nicht ganz den Kern und ist auch ontologisch nicht mit letzter Sicherheit zu behaupten. So ist der Traumraum ja ebenso real für die Erlebende, zumindest im Moment des Traumes. Möglicherweise ist, bezogen auf den Aspekt der räumlichen Ausdehnung, der einzige Unterschied zwischen Traumraum und Weltraum, dass letzterer kollektiv zugänglich ist, ersterer lediglich für die Träumende selbst. Was angesichts der Stabilität unserer Realität im Gegensatz zur Diffusität und Phantastik unserer Träume zunächst absurd klingt, möchte ich in Kapitel 4.2. meines Buches näher erläutern.

So ein Traum ist ja auch eine Art von phänomenalem Erleben. Dieser Traum ist irgendwie ausgedehnt. Ist also phänomenales Erleben ausgedehnt?

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* Spannend ist auch eine andere sprachliche, aber inhaltlich mehr oder weniger identische Variante dieser Begründung, nämlich dass Singularitäten ein Zeichen für den Zusammenbruch einer Theorie an der betreffenden Stelle seien, da Singularitäten unphysikalisch seien. Besonders spannend an dieser allgemein gebräuchlichen Formulierung ist, dass in ihr besonders deutlich eine implizite Überzeugung hervortritt, die im Normalfall völlig unhinterfragt hingenommen wird, nämlich dass alles, was real ist, physikalischer Natur ist. In dieser Aussage steckt also ganz viel Metaphysik – und zwar physikalistische Metaphysik.

** Damit möchte ich die Arbeit an alternativen singularitätenfreien Erklärungsmodellen wie der Schleifenquantengravitation oder den verschiedenen Stringtheorien keineswegs als aussichtslos abtun. Da sie beide auf der Größenordnung der Planck-Skala ansetzen, also der kleinsten Größenordnung, in der die uns bekannten Gesetze der Physik noch ihre Geltung haben können, halte ich sie für wichtige Grundlagenarbeit zu einer weiteren Erkenntnis der Basiskonfiguration von Materie/Energie. Es mag auch möglich sein, eine völlig singularitätenfreie Theorie der Materie zu finden, welches sich experimentell bestätigen und sich auch erfolgreich in technologische Anwendungen überführen lässt. Damit ist dann aber trotzdem nichts ausgesagt über eine etwaige tatsächliche Existenz oder Nichtexistenz von Singularitäten bzw. ist es dann, wie gesagt, eine Theory of Matter, nicht eine Theory of Everything, da, wie ich später ausführen werde, der zentrale mathematische Begriff für das Ich in ihr fehlt.

Absolute Naturen in der Mathematik und Physik: Echte Singularitäten

Dieser Text schließt an den Beitrag „Bin ich identisch mit meinem Erlebnisstrom und daher berechenbar?“ an und ist – mit dem Format entsprechenden Abwandlungen – ein Auszug aus meinem Buch „Phänometrie. Ist Bewusstsein mathematisch greifbar?

Analog zu den linguistischen Sprachen gibt es in der Mathematik durchaus die Möglichkeit, sinnvoll über absolute Naturen zu sprechen, also über Entitäten, die sich wie das Ich durch eine fundamentale Nicht-Relationalität auszeichnen, und zwar indirekt im Sinne eines Verweises auf die – immerhin exakt bestimmbaren – Grenzen mathematischer Definierbarkeit und auf das Sein eines Jenseits dieser Grenze. Diese Entitäten sind die intrinsischen oder echten Singularitäten (im Gegensatz zu sogenannten Koordinatensingularitäten, die durch Wechsel in ein anderes Koor-dinatensystem behoben werden können). Echte Singularitäten zeichnen sich dadurch aus, dass sie mathematisch nicht definiert sind, da hier Unendlichkeiten auftreten. So hat die Null im Grunde genommen die Eigenschaften einer Singularität: Es kann nicht sinnvoll durch Null geteilt werden, da bei dem Teilen durch etwas unendlich Kleines das Ergebnis im Grenzwert ebenso gegen Unendlich streben würde. Dennoch bildet die Null den Ursprung eines jeden Koordinatensystems. Selbst ist sie weder positiv noch negativ und hat damit auch keinen (quantitativen) Wert, bildet aber den Ausgangspunkt sowohl für die positiven und negativen reellen und imaginären Zahlen. Etwas, das an sich mathematisch nicht definierbar ist, bildet dennoch einen zentralen Bezugspunkt allen mathematischen Denkens. Auch in anderen mathematischen Theorien nehmen Singularitäten eine zentrale Rolle ein:

In der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) treten Singularitäten in Form von Schwarzen Löchern auf (lässt man bei der Lösung für ein Schwarzes Loch die Zeit „rückwärts laufen“, d.h. setzt man ein negatives Vorzeichen vor die entsprechenden Feldgleichungen, hypothetisch auch in Form von Weißen Löchern). In der Singularität eines Schwarzen Lochs divergiert die Raumzeit durch unendliche Krümmung, mithin ist die Singularität eines Schwarzen Lochs selbst kein Bestandteil der Raumzeit. Daher sind auch physikalische Größen wie Masse, Größe und Dichte dort nicht mehr definiert bzw. unendlich. Die Singularität eines nichtrotierenden Schwarzen Lochs ist punktförmig, d.h. unendlich klein, im Falle eines ungeladenen rotierenden Schwarzen Lochs ist sie ringförmig, allerdings ist dieser Ring unendlich dünn und hat keine Ausdehnung, da er, wie auch die Punkt-singularität bei r = 0 (Radius = 0) auftritt. Dennoch lässt sich aus den entsprechenden Gleichungen ermitteln, dass die Singularität eines rotierenden Schwarzen Lochs verschieden von der eines nicht rotierenden Schwarzen Lochs ist, da sie nur auftritt, wenn gleichzeitig noch ein anderer Parameter erfüllt ist, aus dem sich eben auf diese Ringform schließen lässt. Es handelt sich hier wie bei den höheren Dimensionen, die in der Quantenphysik so erfolgreich eingesetzt werden, um eine sogenannte „unanschauliche“ mathematische Eigenschaft.

Eine weitere Singularität wird in der Physik in der Urknalltheorie angenommen: Demzufolge entstand das Universum aus einer Singularität, in der – so eine beliebte populärwissenschaftliche Darstellung – all seine jetzigen Bestandteile auf unendlich kleinem Raum zusammengedrängt waren. Korrekterweise müsste man hier allerdings von einem ewigen Nichtraum sprechen (und selbst das ist in Anbetracht der völligen Abwesenheit derjenigen Entität, anhand dieser sich der Nichtraum in der Abgrenzung eben als Nichtraum identifizieren ließe, nicht ganz korrekt), da auch in der Anfangssingularität Dimensionen nicht definierbar sind. Es ist damit auch die Rede von einem unendlich kleinen Raum, auf dem alle Energie des Universums zusammengedrängt war, streng genommen nicht korrekt. Die Raumzeit mit all ihren mathematisch beschreibbaren Eigenschaften trat erst in die Existenz, nachdem sich der Urknall ereignete. Dementsprechend beschreibt die mathematische Theorie das Universum auch erst ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt ab 10-43 Sekunden nach seinem Entstehen, da in der Singularität die Naturgesetze, die erst in Raum und Zeit ihre Wirkung antreten, noch nicht gegolten haben können. (Man bemerke die Parallele zum Ich, das jenseits jeden phänomenalen Erlebens ist und daher auch nicht durch mathematische Berechenbarkeit determiniert ist.) Retrospektiv jedoch kann mithilfe derselben Mathematik logisch nahtlos auf die Anfangssingularität des Universums geschlossen werden! (Auch dies erinnert an das Ich, welches sich selbst lediglich in der Reflexion erkennen kann, in seinem augenblicklichen Vollzug aber uneinholbar für die Erkenntnis ist.) Anders als die Singularität eines Schwarzen Lochs, die von einer bereits bestehenden Raumzeit umhüllt wird und von einem Ereignishorizont umgeben ist, ist die Urknallsingularität von keinem Außenraum umgeben und hat dementsprechend auch keinen Ereignishorizont. Hier wird es etwas anschaulicher, dass es keinen Sinn ergibt, von der Urknallsingularität als etwas unendlich Kleinem zu sprechen, denn es fehlt jeglicher Bezugspunkt zu etwas im Vergleich dazu existierenden Größeren.

Vorausgesetzt, die Urknalltheorie ist korrekt und das Universum hat keinen es umgebenden Außenraum, kann konsequenterweise auch nicht davon gesprochen werden, dass das expandierende Universum immer größer wird, sich also vom Kleinen hin zum Größeren entwickelt, denn es fehlt ein demgegenüber externer Bezugspunkt. Was durch die Expansion tatsächlich geschieht, ist, dass sich Distanzen von Objekten innerhalb des Universums vergrößern. Insofern könnte das Universum selbst als absoluter Ereignishorizont (im Vergleich zum relativen Ereignishorizont eines schwarzen Lochs, auf den man von außen schauen kann) interpretiert werden. So betrachtet hat das Universum noch immer den Charakter einer Singularität, nur dass diese dadurch charakterisiert ist, dass anders als beim schwarzen Loch nicht sinnvoll von einem sie umgebenden Außen gesprochen werden kann bzw. in einem hypothetischen Außen ebenso wie in der Anfangssingularität alle raumzeitlichen Attribute nicht existent sein können, weil das Universum, wenn es aus einer Singularität kam, die Totalität alles raumzeitlich Existierenden sein muss. Ein etwaiges „Außerhalb“ wäre ein „Nirgendwo“. Man könnte sich fragen, ob dann nicht dieses „Nirgendwo“ als eine Entität jenseits der Raumzeit nicht auch den Charakter einer Singularität hat. So gefasst bietet sich das Bild eines Universums, welches aus einer Singularität entstanden und noch immer vollkommen „eingebettet“ in eine Singularität ist (wobei der Begriff des „Eingebettetseins“ wieder irreführend ist, suggeriert er doch eine raumzeitliche Relation), woraus sich auch hier wieder die mögliche Schlussfolgerung ergibt, dass das Universum selbst auch nichts anderes sei als eine Singularität – jedoch eine, die dazu fähig ist, ihren Modus zu wechseln. Mit den Punkt- und Ringsingularitäten in nichtrotierenden und rotierenden Schwarzen Löchern existieren bereits zwei Entitäten mit je völlig verschiedenen Eigenschaften im Kanon der theoretischen Physik, denen dennoch beiden die fundamentalere Eigenschaft der Singularität zukommt. Daraus folgt, dass eine Singularität offenbar verschiedene Modi annehmen kann, ohne dabei ihre Eigenschaft als Singularität zu verlieren. Zumindest kann aber, wenn vielleicht der Begriff der Singularität in Bezug auf das Universum nicht ganz adäquat ist, weil uns durch eine Verwässerung des Vokabulars die Unterscheidungsmöglichkeiten verloren gehen, gesagt werden, dass das Universum nicht wesensverschieden von der Singularität sein kann, aus der es geboren ist und, so wie die Urknallsingularität offenbar den Keim des Universums in sich trägt, das Universum den Keim der Singularität in sich trägt. Die beiden sind offenbar fundamental verwandt.

Analoge Überlegungen ergeben sich für das Alter des Universums: Auch wenn das Universum erst 14 Milliarden Jahre alt ist, muss man zugleich sagen, dass es schon immer existiert hat, wenn „immer“ als zeitlicher Begriff verstanden wird. Denn vor dem Universum war keine Zeit, dementsprechend war es nie nicht. Es gibt kein „Davor“, weil Zeit in einer Singularität nicht definiert ist. Diese 14 Milliarden Jahre sind eine relativistische Größe, die nur für Entitäten innerhalb des Universums Sinn ergibt, die nicht identisch mit dem Universum als Ganzes sind. Wenn man also den Begriff der Zeitlichkeit in seiner Totalität und in Bezug auf die Singularität betrachtet, verschwimmt auch er an seinen Grenzen in die Ewigkeit.

Im Rahmen der Quantenfeldtheorien werden Elementarteilchen als punktförmig, also im mathematischen Sinne auch als echte Singularitäten aufgefasst. Sie sind also laut Theorie Entitäten, die keinerlei Ausdehnung haben und masselos sind. * Ihre unterschiedlichen Massen erhalten sie laut des Standardmodells der Elementarteilchenphysik durch die Kopplung mit dem sogenannten Higgsfeld. Es gibt jedoch Bestrebungen, sowohl in der Kosmologie als auch in der Elementarteil-chenphysik Theorien ohne derartige Singularitäten zu erstellen, da es a) umständlich ist, mit Unendlichkeiten zu rechnen und b) Elementarteilchen ohne jegliche Ausdehnung im Konflikt mit der ausgedehnten Wirklichkeit zu stehen scheinen, in der wir leben. Ich glaube jedoch, dass hier kein Konflikt vorliegt – oder wir umgekehrt feststellen müssen, dass viel mehr ein unerkannter grundsätzlicher Konflikt bezüglich unseres Verständnisses von Ausdehnung vorliegt. Auch die Gegensätze zwischen Ausdehnung und Nichtausdehnung scheinen, in ihrer Totalität konsequent durchgedacht, ineinander zu fließen.

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*Streng genommen ist die Rede von Elementarteilchen ohnehin irreführend, da in der Physik seit einigen Jahrzehnten das, was wir ein Elementarteilchen nennen, als lokale Anregung eines zugehörigen omni-präsenten Feldes gesehen wird. Auch Bewegungen der Elementarteilchen lassen sich erschöpfend mit Änderungen der Anregungszustände der entsprechenden Felder erklären. Man könnte sagen, dass das, was wir als Elementarteilchen identifizieren, eine lokale Vibration ist, die sich wellenartig in ihrem Feld fortpflanzt. Ein Elementarteilchen ist damit gar nicht als autarke, fundamentale Entität zu betrachten, sondern viel mehr das ihm zugrundeliegende Feld, welches an jedem existierenden Raumzeitpunkt anwesend ist. Diese Sicht wird zusätzlich dadurch bestärkt, dass alle Elementarteilchen eines Typs als identisch gelten: Zwei Elementarteilchen des gleichen Typs im gleichen Zustand sind ununterscheidbar voneinander. Bei einer Menge von n Elementarteilchen des gleichen Typs ist zwar die Gesamtanzahl der Teilchen bestimmbar, aber nicht, welches konkrete Teilchen welchen konkreten Zustand innehat. Im Experiment gelingt die Unterscheidung identischer Teilchen nur durch die Betrachtung unterschiedlicher Endzustände – es ist aber unmöglich, zu bestimmen, welches konkrete Teilchen woher kam und welchen Weg es genommen hat. Dies könnte eine Metaphorik bieten, über Individuen bzw. deren Ich-Instanzen nachzudenken. Sind sie auch ununterscheidbar im gleichen Zustand, also jenseits eines konkreten Handelns bzw. jenseits einer konkreten Aktualisierung in der Raumzeit, als aktualisierte Individuen in der Raumzeit jedoch unterscheidbar?

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