Dieser Beitrag schließt an an den Beitrag „Was uns Nahtoderlebnisse über die Beschaffenheit der Wirklichkeit verraten“ und ist – mit geringen Abwandlungen – ein Auszug aus meinem Buch „Phänometrie. Ist Bewusstsein mathematisch fassbar?“
Dieses Isolierter-Raum-Szenario könnte meines Erachtens tatsächlich nah an der Wirklichkeit sein: Phänomene wie Nahtoderfahrungen, Astralreisen und andere außerkörperliche Erfahrungen sind anthropologische Konstanten. Sie treten kultur- und zeitübergreifend auf und beinhalten allesamt die Erfahrung einer oftmals als weitaus realer wahrgenommenen Wirklichkeit jenseits der irdischen Realität. Es ist extrem unwahrscheinlich bis ausgeschlossen, dass diese Erfahrungen auf Gehirnzustände oder andere körpergebundene Faktoren zurückzuführen sind, da sie, wie oben beschrieben, auch auftreten, wenn der Körper einer Person hirntot ist. Sie müssten also von einer noch unbekannten und bis dato nicht messbaren Körperfunktion herrühren, wenn sie einen körperlichen Ursprung haben sollen. Ich halte diese Hypothese für unplausibel, auch weil es immer wieder vorkommt, dass Nahtoderfahrene nach ihrem Erlebnis von Dingen berichten, die sich während ihrer Bewusstlosigkeit zugetragen haben und sich der Inhalt dieser Berichte durch Dritte bestätigen lässt. Der Nahtodforschung ist inzwischen eine gehörige Menge von Berichten über genau dieses Phänomen bekannt. Wenn man nicht annehmen möchte, dass all jene Menschen, die von ähnlichen Phänomenen über alle Zeiten und Orte hinweg berichtet haben, lügen oder nachträglich halluzinieren1, muss man sich schon fragen, wo sich denn diese Erlebnisse abspielen.
Hier kommt die Idee eines mehrschichtigen Universums ins Spiel. Diese ist freilich nicht neu. So ist bereits in verschiedenen Schriften aus dem hinduistischen Religionskomplex von den lokas die Rede, verschiedenen Welten, in denen unsere Welt lediglich eine von vielen ist. Je nach Quelle werden drei, sieben, acht oder gar vierzehn Lokas unterschieden. Auch die Buddhisten kennen sechs verschiedene Daseinsbereiche. Die Kelten nahmen eine Anderswelt an, indigene Völker auf der ganzen Erde schicken ihre Heiler und Heilerinnen in eine wie auch immer vorgestellte Geisterwelt, um die dort angenommenen Ursachen von Krankheiten aufzuspüren und durch Interaktion mit dort ansässigen Wesen oder der Seele des Betroffenen die Gesundung herbeizuführen. Ohne nun auf die Konzepte und ihre Plausibilität im Einzelnen eingehen zu wollen, will ich an dieser Stelle kons-tatieren, dass die Annahme anderer Welten jenseits der unseren ebenso eine anthropologische Konstante ist, ebenso wie die Erfahrungsberichte von Menschen, die für sich in Anspruch nehmen, sich in welcher Form auch immer in einer anderen Welt aufgehalten zu haben oder in Abwesenheit jeglicher dafür relevanter Körperfunktionen sinnliche Wahrnehmungen von Geschehnissen in „unserer“ Welt gehabt zu haben, weil sie sich mit einem anderen, irgendwie feineren Körper außerhalb ihres menschlichen Körpers wiederfanden. Es wird mit wachsendem Kenntnisstand immer unplausibler, diese Phänomene als bloße Halluzinationen oder irrationalen Glauben weg-zuerklären oder sie gar gänzlich zu ignorieren. Die bisher gesammelte Beweislast drängt uns zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit ihnen. Freilich ist es angesichts ihrer ebenso offensicht-lich vorhandenen empirischen Evidenz ebenso unplausibel, unsere bisherigen naturwissenschaft-lichen Erkenntnisse über den Haufen zu werfen und wieder zu einem rein mythologischen Weltbild zurückzukehren. Daher scheint für mich der vernünftigste Umgang damit zu sein, nach einem Weg zu suchen, der die oben genannten Phänomene in Einklang mit unserem derzeitigen naturwissen-schaftlichen Erkenntnisstand bringt, ohne auf der einen Seite die objektive Realität der Phänomene zu leugnen oder auf der anderen Seite unser naturwissenschaftliches Weltbild mit seiner logischen Strenge aufzugeben. Mit anderen Worten: Wir brauchen kein Entweder-Oder-Weltbild, sondern ein Sowohl-Als-Auch-Weltbild.
Darüber, wie dieses Sowohl-Als-Auch aussehen könnte, habe ich mir auch schon einige Gedanken gemacht. So bin ich auf folgende Idee gekommen, die mir bisher am plausibelsten erscheint: Möglicherweise besteht das Universum aus mehreren Schichten, von denen jede Schicht eine andere Basiskonfiguration auf der Planck-Skala hat. Die Planck-Skala beschreibt die Ebene der kleinstmöglichen Einheiten, in denen physikalische Vorgänge stattfinden können. Sie sind die Grenze der Anwendbarkeit der physikalischen Gesetze und ergeben sich aus den Werten der Naturkonstanten wie der Gravitationskonstante, dem Planckschen Wirkungsquantum und der Lichtgeschwindigkeit. Zum Beispiel markiert die Planck-Zeit die kleinstmögliche Zeiteinheit, für die die uns bekannten physikalischen Gesetze gültig sind. Ihr Wert beträgt ca. 5.391247(60) x 10-44 Sekunden. Sie sehr, sehr kurz zu nennen, wäre also eine gnadenlose Untertreibung. Doch vielleicht haben die Naturkonstanten in einer etwaigen weiteren Schicht des Universums andere Werte. Wenn dort deswegen nun der Wert der Planck-Zeit nur ein wenig kleiner wäre und dementsprechend auch alle anderen Planck-Einheiten, könnten diese Schichten dann nicht wie „ineinander“ existieren, ohne dass sie sich in die Quere kämen, ohne dass die schneller schwingenden Schichten für die jeweils langsamer schwingenden Schichten physikalisch nachweisbar wären, weil wir durch die Werte unserer Naturkonstanten die dafür erforderliche Stärke der Auflösung (um in einer Metapher der digitalen Fotografie zu sprechen) nicht erreichen könnten? Könnten nicht Gefühle und Gedanken in einer solchen Schicht oder mehrerer dieser Schichten ihren Ursprung haben und dort als Entität mit objektiv wahrnehmbarer Außenseite beheimatet sein? Möglicherweise haben sie eine charakteristische Geometrie bzw. Topologie, ein charakteristisches Schwingungsmuster, eine charakteristische Progression in der Zeit, einen charakteristischen Wirkzusammenhang mit anderen Gedanken bzw. Gefühlen. So wie physikalische Entitäten dieser Wirklichkeitsebene miteinander interagieren können, so können es möglicherweise auch die Gefühl- und Gedankenentitäten. Diese wahrnehmbare Außenseite müsste allerdings auch unserem Leib zugehörig sein, wenn wir doch diejenigen sind, die sie von innen wahrnehmen. Es würde bedeuten, dass wir auch in jener Schicht respektive jenen Schichten leiblich anwesend sind. Der Leib der anderen Ebenen müsste dabei nicht notwendig dieselbe Form aufweisen wie unser diesseitiger Leib. Doch wenn wir auch in diesen Schichten leiblich anwesend sind, würde sich natürlich die Frage stellen, warum wir zumindest ihren innerlichen Aspekt auch hier auf dieser Ebene wahrnehmen beziehungsweise warum wir nur ihren innerlichen Aspekt wahrnehmen, nicht aber von außen auf sie schauen können (abgesehen von jenem Teil, der auch in dieser Schicht in Form von Gehirnströmen und anderen physiologischen Messwerten zu sehen ist), so wie wir ja auch von außen auf unseren normalen Leib schauen können. Eine naheliegende Antwort wäre anzunehmen, dass der Leib der anderen Schicht(en) keine Sinnes-organe aufweist und dementsprechend dort keine Augen vorhanden sind, die einen solchen Leib erblicken könnten. Es könnte sich aber auch anders verhalten und auch hier könnte das Ich wieder die Antwort sein. Als Singularität befindet es sich jenseits der Raumzeit und jenseits der Materie und ist daher auch nicht an eine einzige Ebene gebunden. Es müsste daher auch, sollten diese weiteren Schichten existieren und sollten dort ebenso Aspekte unserer Leiblichkeit existieren, auf die anderen Schichten zugreifen können. Es ist möglicherweise lediglich eine Frage der Konzentration und der Gewohnheit, mit welchen Aspekten der eigenen Leiblichkeit man sich identifiziert oder welche Schichten man wahrnimmt – und demnach auch, in welcher Welt man sich bewegt. Mystische Erfahrungen wie Nahtoderfahrungen oder Visionen nach Genuss von psychoaktiven Substanzen könnten dadurch zustandekommen, dass sie irgendwie eine Verschie-bung der Konzentration bewirken bzw. einen aus den eingefahrenen Gewohnheiten herauslösen und wir durch die Singularität unseres Ich instantan in eine andere Wirklichkeitsebene „reisen“ – oder durch eine Erweiterung unserer Konzentrationsfähigkeit gar mehrere Ebenen gleichzeitig wahrnehmen. Auch das obige Zitat aus der Studie über Nahtoderlebnisse beschreibt eine fortdauernde sinnliche Wahrnehmung der Personen nach dem Hirntod. Auch in Abwesenheit der Funktion unserer physischen Sinnesorgane sind uns ganz offenbar sinnliche Wahrnehmungen möglich. Möglicherweise könnten sich auch Träume auf einer dieser Ebenen abspielen – wobei es ja zuallermeist so zu sein scheint, dass die Wesen, denen wir im Traum begegnen, nicht real im Sinne eines echten Wesens mit je eigenem Ich sind, sondern es sind von uns selbst imaginierte Traumfiguren. Ein Traum scheint meist eher so etwas wie eine exklusive „Privatrealität“ zu sein. Dennoch würden wir in dieser Richtung vielleicht Erklärungen dafür finden, in welchem Raum Träume sich abspielen – diese Frage warf ich ja im Beitrag „Res extensa: Wissen wir wirklich, was Ausdehnung ist?“ bereits auf.
Ein solches Zwiebelschalen-Modell des Universums wäre auch ein plausibler Erklärungsansatz für andere grenzüberschreitende Phänomene wie mediale Kontakte mit Verstorbenen, die in der oben bereits erwähnten EREAMS-Studie prospektiv empirisch untersucht wurden, was äußerst starke Belege für die Authentizität der dort untersuchten Kontakte zutage förderte. Der Tod wäre, sollten sich die obigen Überlegungen als zutreffend erweisen, mithin nichts anderes als die Verschiebung der Konzentration auf die „höheren“ Aspekte der eigenen Leiblichkeit, während die Konzentration auf diejenige Materie, deren Einwohner man auf der Erde für die letzten Jahre war, dauerhaft aufgegeben wird, wodurch sie wieder frei wird für eine Neuorganisation durch andere Entitäten. Der Umstand, dass der diesseitige Körper einiger buddhistischer Mönche, die Meisterschaft in der Meditation erreichten, noch viele Jahre nach ihrem diesseitigen Ableben nicht verwest, ließe sich dann dadurch erklären, dass es ihnen durch ihre errungene Meisterschaft in der Meditation gelingt, die Konzentration und damit ihren Einfluss auf den diesseitigen Leib noch Jahre nach ihrem Fortgang aufrecht zu erhalten. Interessant hierzu ist, sich bewusst zu machen, wie Meditation in den traditionellen östlichen Schriften wie z.B. den altindischen Upanishaden oder dem buddhistischen Visuddhimagga gelehrt wird: Dort gilt als Meditation im Wesentlichen das Schulen und Schärfen der Konzentration, genauer gesagt das einpünktige (Stichwort Singularität!) Fokussieren der Aufmerksamkeit entweder auf ein Meditationsobjekt oder auf eine Körperstelle, sodass man schlussendlich in einen Zustand vollkommener Verstandesstille gelangt.
Ein Beispiel für solch einen Meister der Meditation, dessen Körper nicht verwest und offenbar auch Lebensäußerungen zeigt, obwohl er nicht im herkömmlichen Sinne lebendig ist, ist der buddhistische Mönch Dashi Dorjo Itigilow. Am 04.07.2007 wurde dieser Fall vom Online-Magazin „Spektrum.de“ unter dem Titel „Toter Mönch verwest nicht“ thematisiert. Es gibt noch einige weitere Beispiele nicht verwesender buddhistischer Mönche, aber auch von insbesondere Heiligen anderer Kulturkreise, deren Körper nicht verwesen, wie z.B. die katholischen Heiligen Bernadette Soubirous oder Teresa von Ávila. Während sich manche Fälle von Unverweslichkeit durch den heutigen Stand der Wissenschaft vollkommen hinreichend erklären lassen, ist es bei den oben namentlich genannten und auch einigen anderen Fällen nicht möglich, dies mithilfe unseres heutigen Wissensstandes zu erklären.
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1 Auch der Begriff „Halluzination“ birgt Diskussionspotential, denn man kann, wie es zum Beispiel der Neurologe Prof. Dr. Wilfried Kuhn tut, infrage stellen, inwieweit die Verknüpfung „Halluzination = irreal“ tatsächlich gültig ist.
Sehr erfrischende neue Impulse, Ihre Essays und Arbeiten im Themenbereich der Bewußtseinsforschung! Ich geniesse die logische Klarheit bzw. Stringenz, mit der Sie Ihre Beiträge verfassen. Danke.
Vielen herzlichen Dank!