Dieser Text schließt an den Beitrag „Der Erfolg der Mathematik als Beweis der Wesensverwandtschaft von Geist und Materie“ an und ist – mit dem Format entsprechenden Abwandlungen – ein Auszug aus meinem Buch „Phänometrie. Ist Bewusstsein mathematisch greifbar?„
Angewandt auf phänomenales Erleben scheinen Maßeinheiten wie Größe, Masse, Ladung etc., welche wir zur Beschreibung des objektiven Aspekts der Wirklichkeit anwenden, zunächst keinen Sinn zu ergeben. In welchen Einheiten sollte also solch ein Unterfangen gefasst werden? Es ist war so, dass wir in unserem Erlebensstrom Dinge mit Eigenschaften wie Größe, Masse, Ladung etc. erleben – es gibt also eine Korrelation – aber man kann wohl nicht sinnvoll davon sprechen, dass zum Beispiel mein Erleben von Freude 12 Zentimeter lang und 13 Kilogramm schwer ist oder dass Erlebnis A und Erlebnis B einander abstoßen, weil beide positiv geladen sind. Dennoch hat auch phänomenales Erleben voneinander unterscheidbare Aspekte und damit relationalen Charakter, wie in Goffs Zitat deutlich wird: Erlebnisse lassen sich sinnvoll sowohl mit anderen Erlebnissen als auch mit erlebten Objekten in Bezug setzen, sie beziehen sich immer auf etwas oder aufeinander. Und wie bei kausalen Vorgängen der physischen Welt spielt auch bei Erlebnissen die Zeit eine fundamentale Rolle: Es existiert eine Abfolge und Entwicklung entlang des Zeitpfeils.
Auch ist die eben genannte Korrelation keineswegs trivial: Es ja überhaupt erst das Erleben selbst, welches uns Wirklichkeit und damit auch deren objektiven Aspekt als solchen identifizieren lässt. So ist es unser Erleben und unsere daraus resultierende Deutung des Verhaltens zweier Protonen (freilich ist es hier aufgrund deren geringer Größe ein indirektes Erleben durch experimentelle Vorrichtungen, die uns die Vorgänge des Allerkleinsten ins Reich des für uns sinnlich Wahrnehm-baren übersetzen), welches uns die Aussagen „haben die gleiche Ladung, stoßen einander ab“ treffen lässt – oder eben dass eine Kaffeetasse 10 Zentimeter hoch ist, eine Wanddicke von ca. 5 Millimetern und einen Durchmesser von 8 Zentimetern hat, aus Porzellan besteht und 100 Gramm wiegt. Wir erleben die Kaffeetasse sinnlich und entnehmen diesen sinnlichen Wahrnehmungen mithilfe von Messgeräten – deren Messungen wir ebenfalls sinnlich wahrnehmen und aufgrund der Kombination von der Beschaffenheit unseres sinnlichen Wahrnehmungsapparats und unseres logischen Denk- sowie Erkenntnisvermögens dementsprechend konstruiert haben – Aussagen über die objektiven Eigenschaften dieser Kaffeetasse. Auch der Akt der Formulierung mathematischer Theorien hat die Fähigkeit zu erleben zur Voraussetzung – sei es das Erleben, wie wir die entsprechenden Gedanken erdenken oder das Erleben der Zeichen, in denen wir die Theorie niederschreiben. Wir haben noch kein einziges Mal eine völlig bewusstseinsunabhängige Realität feststellen können und werden das auch niemals können, denn eine solche Feststellung würde uns, also bewusste Individuen, voraussetzen. Wir leben also wie der Fisch im Wasser selbstverständlich mit der Tatsache, dass es erst unser Erleben ist, das uns die Welt überhaupt als solche erschließt, das uns überhaupt eine Feststellung wie „ist objektiv gegeben“ ermöglicht. Sowohl objektive also auch subjektive Fakten sind vollständig bewusstseinsimmanent und es gibt eine Korrelation zwischen ihnen. Es ist zwar ebenso problematisch, einen naiven Solipsismus oder einen naiven subjektiven Idealismus anzunehmen und diese Ansichten folgen auch nicht aus dieser Erkenntnis – doch weil wir eben auch noch nie einen Beweis für eine bewusstseinsunabhängige Außenwelt haben sammeln können und das auch nie können werden, ist der Glauben an eine gänzlich bewusstseinsunabhängige Außenwelt nichts anderes als eine unbeweisbare Überzeugung. Mehr als diese Feststellung ohne weitere Schlussfolgerungen ist vorerst nicht nötig. Es ist auch nicht nötig, dies anzunehmen, um die Gültigkeit der Mathematik und der auf ihr basierenden Naturwissenschaften anzuerkennen – im Gegenteil, denn wir betreiben Mathematik kraft unseres Bewusstseins. Ihre Gültigkeit beruht geradezu auf der Annahme, dass es eine Korrelation zwischen unserem Bewusstseinsstrom und der Wirklichkeit da draußen gibt. Wir erleben die Welt da draußen und wenden erfolgreich Mathematik auf sie an. Wir erleben ihre Qualia und wir erleben im selben Erlebensstrom Gefühle und Gedanken, die ebenso wie die anderen Erlebnisse eine spezifische Abfolge haben und eine Entwicklung entlang des Zeitpfeils durchmachen. Das alles sind Gründe, sie als mathematisch fassbar anzusehen.
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